Montag, 30. November 2009

Circo, cerro, corrida, y colegio

Zirkus, Hügel, Stierkampf und Schule

Zuerst einmal bitte ich euch um Entschuldigung für den erneut zu späten Eintrag und kündige für die nächste Woche eine weitere Verspätung an, die auf Grund meiner Reise an den Amazonas leider nicht zu vermeiden ist. Ich hoffe, den ersten Eintrag über den Aufenthalt im Regenwald - vom Dienstag bis zum Samstag - am Sonntag schreiben zu können, kann euch dies jedoch nicht versprechen. Damit ihr auch nächste Woche motiviert seid, wieder hereinzuschauen, schmeiße ich schon mal die Stichwörter "Affe" und "rosafarbener Flussdelfin" in den Raum. Doch genug von der nächsten Woche geredet - heute soll es schließlich um etwas anderes gehen, wie die Überschrift bereits verkündet.



 Am Freitagabend war ich mit meiner Gastfamilie in einem Salsa-Zirkus namens "delirio" ("Delirium"), da meine Gastmutter Maria Nelly kurzfristig Karten bekommen hatte. Salsa ("Soße") ist so etwas wie der kolumbianische Nationaltanz und in jeder Disko wird neben Electrónica, das der deutschen Partymusik ähnelt, Salsa, Merengue und Reggaetón gespielt. So versuche ich mich auch fast jedes Wochenende an diesen Tänzen und es wird von Woche zu Woche besser. An dieser Stelle möchte ich meiner ehemaligen Tanzschule Ring 3 danken, denn die Grundschritte und -drehungen sind in allen Tänzen irgendwie gleich. Die Kolumbianer lernen Salsa tanzen anscheinend mit der Muttermilch und haben den Hüftschwung im Blut - der will bei mir immer noch nicht so recht klappen.



Während der Vorstellung wechselten sich Tanzvorführungen mit artistischen Einheiten in der Luft ab, unterbrochen von kurzen Pausen, die das Publikum zum Tanzen nutzen konnte. Währenddessen wurde Aguardiente und Rum serviert, begleitet von kleinen gefüllten Teigtaschen, sogenannten Empanadas, die man mit Zitronensaft betröpfelt.



Das ganze Zelt tanzt!

Nachdem ich die Tanzchancen mit einer Freundin und meiner Gastmutter ausgiebig genutzt hatte, konnte man sogar am Ende mit den Tänzerinnen der Show tanzen und das war eine echt tolle Erfahrung - wenn ein Tanzpartner Ahnung von der Materie hat und führt (in dem Falle sie), macht es total viel Spaß. Ich werde sicherlich weiterüben.

Desweiteren war ich neulich mit einer Freundin auf dem "Cerro de las tres cruces" (Hügel der drei Kreuze).



Er ist ein Teil der Bergkette, die Cali vom Westen her begrenzt. Der Aufstieg dauert etwa eine Stunde und geht wortwörtlich über Stock und Stein, da es keinen befestigten Weg gibt. Die Hitze erschwert die Wanderung natürlich noch um einiges und so waren wir sehr erschöpft, als wir endlich den Gipfel erreicht hatten. Von dort aus hat man jedoch einen tollen Blick über die Stadt ...



... und die Luft hat eine ganz andere Qualität - man beachte die Dunstglocke im folgenden Bild.



Hierzu muss man erwähnen, dass die Abgase der Autos und Busse die Luft verpesten und einen unglaublichen Smog erzeugen. Von Feinstaubfiltern hat man hier noch nie etwas gehört und so denkt man manchmal, es ziehe eine dunkle Regenwolke auf, bevor man realisiert, dass es nur die Abgase eines besonders schlimmen Luftverschmutzers sind. Hierzu kann ich euch noch diesen Artikel von Jan aus Asunción in Paraguay ans Herz legen, der das öffentliche Bussystem seiner Stadt beschreibt und dabei auch auf die Abgase eingeht.
Wie dem auch sei, hier in Cali zieht nachmittags immer ein laues Lüftchen auf - genauer gesagt, ein ziemlich starker Wind, nach dem man die Uhr stellen kann. Jeden Tag um 16.30 Uhr geht der Sturm los und dann darf man sein Handy nicht auf die Fensterbank legen, wenn das Fenster geöffnet ist, sonst kann man es in Einzelteilen vom Fußboden aufsammeln. (Ja, das ist mir schon passiert. Das Handy geht aber noch.) Der Wind weht also den Smog hinunter ins Tal in den Osten. Und wer wohnt da? Richtig, die Armen. Das Leben kann manchmal so zynisch sein.



Beim Abstieg war es schon ein bisschen später geworden und so sahen wir die Lichter der Stadt, als wir im Dunkeln versuchten, nicht über die Steine zu stolpern.



Der Weg führt jedoch direkt hier vorbei, an den "invasiones" ("Slums" oder "informelle Siedlungen", wie ich bei Frau Hoffmann in Geographie gelernt habe), und demnach sollte man dort nicht bei Dunkelheit unterwegs sein. Ich hatte mich schon vorbeugend mit einem Stein bewaffnet, doch uns ist nichts passiert. Das soll jetzt nicht so klingen, als seien Überfälle hier die Regel, aber es ist deutlich wahrscheinlicher als in Deutschland, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein - doch darüber habe ich ja letzte Woche schon berichtet.
Gestern war ich dann zum ersten Mal in meinem Leben bei einem Stierkampf. Die sogenannten "corridas" ("Läufe") sind traditionell Teil jeder "feria", der Partywoche in Cali zwischen Weihnachten und Neujahr, und bereits im November werden die Leute mit kleinen Stieren und jungen Toreros auf die richtigen Kämpfe eingestimmt. Diese sind sehr beliebt und die Karten kosten zwischen 7 und 70 Euro - die teuersten Fußballkarten, die es gibt, kosten hingegen nur 15 Euro - und die besten Toreros verdienen in einer Woche bis zu 150.000 Euro!
Der Bericht über den Stierkampf erfolgt über die folgenden Videos - also Lautsprecher aufdrehen und vielleicht Kopfhörer anschließen, um den Kommentar zu hören!



Doch es wurde spannender.



6 Bullen werden in jedem Stierkampf getötet, und jeder Torero ist für zwei Bullen zuständig. Es gibt also drei professionelle Toreros pro Stierkampf.



Manche Toreros sind noch sehr jung - wie alt mag der Junge auf dem folgenden Bild wohl sein?



Ich würde schätzen, 14 oder 15 Jahre alt.



Die Stierkämpfe sind nicht ungefährlich, denn die Toreros sind auf engstem Raum mit den Stieren.



 Manchmal geschehen dann auch Unfälle ...



... obwohl laut meinem Gastbruder bisher noch kein Torero in Cali bei seiner Arbeit gestorben ist. Hoffen wir mal, dass das so bleibt.



Auf dem Bild wird der Stier mit dem Karren abtransportiert.



Anschließend wird das tote Tier zerlegt und das Fleisch verkauft. Man beachte auf diesem Bild die Plastikflaschen in der Arena, die das Publikum geworfen hat als Ausdruck des Unmutes darüber, dass die Tötung sehr lange gedauert hat. Das Tier leiden sehen wollen die Kolumbianer nämlich auch nicht. Ihr könnt das Bild mit einem Klick als neue Seite anzeigen lassen, sodass es größer ist.
In der Schule war ich die Untätigkeit leid und habe mir nach der dritten - und hoffentlich letzten - Komplettänderung der Stundenpläne alle Lehrer nach den Zeiten ihrer Englischklassen gefragt. Daraufhin habe ich mir meinen eigenen Stundenplan gebastelt - zwar noch nicht ganz fertig, aber ich werde genau wie die Lehrer 22 Stunden wöchentlich arbeiten. Hier gibt es ein Lob an Frau Ehlers und Herrn Mende vom Gymnasium Ohmoor, die immer dafür gesorgt haben, dass zum Schuljahresbeginn die Stundenpläne fertig organisiert waren - und nicht fünf Wochen später! Doch ich arbeite nur noch diesen Montag, bevor ich zum Amazonas fahre, und dann geht es auch schon in die Weihnachtsferien, die bis zum 17. Januar gehen. Dann geht es aber endlich los in der Schule und mit meinem Sprachkurs. Brauche ich den denn eigentlich noch? Ja, für Redewendungen und zur Verbesserung meines Wortschatzes. Unterhaltungen klappen mittlerweile ziemlich gut.
Zum Abschluss gibt's mal wieder eine ...



... und zwar nach Deutschland an die Deutsche Bank, die nach dem Ablauf meiner Geldanlage mir die Zinsen nicht auszahlte, wie ich auf meinem Kontoauszug bemerkte. Doch weder wurde ich über die Probleme informiert, noch meldete sich meine Kundenbetreuerin per Mail, wie ich es mit einem Anruf erbeten hatte. Nach unzähligen Telefonaten und Mails konnte ich herausfinden, dass wegen eines Problems in der Steuerabrechnung die Zinszahlung nicht getätigt wurde. Solch Probleme und, viel schlimmer, solch einen Kundenservice, würde ich vielleicht von einer Wald-und-Wiesenbank erwarten, aber doch nicht von der Deutschen Bank. Doch dank meiner neu erworbenen Frustrationstoleranz kann ich mittlerweile mit einem Lächeln darüber hinwegsehen. In diesem Sinne: "¡Alemania es pasión!" ("Deutschland ist Leiden(schaft)!")
Eine letzte Bitte: da es letzte Woche unterschiedliche Meinungen über meinen Eintrag gab und ich endlich einmal ein paar Kommentare erhielt - an dieser Stelle entschuldige der Autor des "Nazi"-Kommentars bitte die Löschung - ergab sich aus anderem Grunde hier eine Diskussion, die jedoch schließlich dazu führte, dass eine Leserin, die ebenfalls momentan mit "weltwärts" in Cali ist, meinen Bericht über die negativen Aspekte Kolumbiens als unsozial ansah. Wer mag, liest sich einmal meine Antwort darauf durch, die hoffentlich das, was ich sagen wollte, noch einmal ausführlicher und in verbesserter Form darlegt. Kommentare sind wie immer erwünscht.

Euer Lars

3 Kommentare:

  1. O Mann, wenn ich daran denke wieviel Mühe du dir gegeben hast so ein Kälbchen aufzuziehen... hast du bei dem Anblick des kleinen Stiers und seines Leidensweges in der Arena bestimmt auch geschluckt. Also das sind Videos, die ich mir nicht ein zweites Mal anschauen werde!
    Aber, andere Länder - andere Sitten, da musst du durch und alle anderen auch.
    Gruß LiCo

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  2. Hallo Lars,
    ich heiße Fanny und bin mit AFS mit weltwärts in Mexiko, wie Merle...Finde deinen Blog toll und interessant und hab ihn deshalb auf meinem verlinkt. www.fannyinmexico.blogspot.com
    Ich hoffe das war okay ;)
    Ganz liebe Grüße nach Cali!!!
    Fanny

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  3. Lieber Lars,

    deine Seite ist klasse und ich habe sie erst jetzt gefunden, nachdem ich schon einen Tag wieder in Deutschland bin (nach 4 Wochen in Kolumbien). Ich würde es gerne sehen, wenn wir unsere Seiten verlinken, da ich auch auf meiner Internetseite Fotos, Filme bzw. Texte zu Kolumbien schreiben werde: www.sarah-lindner.de

    Schade, dass ich dich nicht vorher schon getroffen habe. Wie lange bist du mit Weltwärts in Cali?
    Sarah Lindner

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