Mittwoch, 30. September 2009

Colombia es pasión. Parte Uno

Kolumbien ist Leiden(schaft). Teil Eins

Nachdem ich am Sonntagabend erst um 20 Uhr nach Hause kam, vorgestern Abend das Internet nicht ging und wir gestern Abend meinen Geburtstag gefeiert haben, zwinge ich mich nun heute dazu, wenigstens schon einmal ein paar Zeilen über die Reise zu schreiben, die ich in der letzten Woche unternommen habe.

Tag 1 - Donnerstag, 17. September

Um 14 Uhr ging es von zu Hause los, um pünktlich um 15 Uhr am Flughafen zu sein, denn eine Stunde später ging der Flug. Doch das Schicksal machte uns leider einen Strich durch die Pünktlichkeit, denn mein Gastvater konnte einmal nicht rechtzeitig bremsen und schon schnitt der scharfkantige Kotfänger des Jeeps in die Heckstoßstange des 20 Jahre alten Mercedes vor uns.



Ganz in kolumbianischer Manier stoppten wir in der mittleren von 3 Spuren der Hauptverkehrsstraße und mit vielen Gesten und Wörtern, die ich hier lieber nicht übersetzen möchte, versuchten mein Gastvater und der Fahrer des anderen Wagens die Angelegenheit zu regeln.



Nach wenigen Sekunden kam dann noch ein Polizist herbeigeeilt, der in aller Seelenruhe inmitten all der hupenden Autos den Unfall ausmaß und uns dann nach 10 Minuten erlaubte, die Autos an den Straßenrand zu fahren, wo unter wildem Gestikulieren weitere Details ausgetauscht wurden.
Auf jeden Fall kamen wir eine gute halbe Stunde vor dem Abflug am Flughafen an, was immer noch gereicht hat. Nach der obligatorischen Handgepäckkontrolle beschnüffelte ein Zöllner kurz mein PSP-Spiel - wie ein Drogenhund setzte er fachkundig seine Nase ein - fand aber nichts, was ihn störte, und ließ mich passieren. Mit der "kolumbianischen Lufthansa" Avianca flog ich dann eine knappe Stunde von Cali nach Bogotá - sehr luxuriös, jeder hat einen eigenen Fernseher, und Kopfhörer werden gestellt. Nur der Mangosaft im Flugzeug ist leider nicht empfehlenswert. Das kann unsere Haushälterin Mari tausendmal besser!
In Bogotá bemerkte man sofort die "Kälte" im Vergleich zu Cali - nur 20°C statt regelmäßig mehr als 30°C! Außerdem ist in Bogotá die Luft sehr schlecht, was zum einen an den Fabriken liegt...



... und zum anderen an den Autos, LKWs und Bussen. Im Gegensatz zu Cali gibt es in Bogotá nicht den Wind am Nachmittag, der den Smog wegweht. Die schwarzen Abgase erinnern mich an eine Stenkelfeld-Episode, aus der ich die entscheidenden 10 Sekunden ausgeschnitten habe und damit das Bild vom Verkehr unterlegt habe.



"Der pafft wat weg!"



Bei Eric, meinem Freund in Bogotá angekommen, tranken wir erstmal zusammen mit seinem 83-jährigen Gastvater Miguel und dessen 56-jähriger Frau Gloria einen Liter Whisky und rauchten dazu Pfeife.



Ein sehr entspannter Abend.

Tag 2 - Freitag, 18. September
 
Nachdem wir ausgeschlafen hatten, trafen wir uns nach einem Fußmarsch durch die Straßen Bogotás mit Erics Freundin Lilian. Sie war auch mit uns nach Kolumbien gekommen und wohnt in Sugamoso, das etwa drei Stunden nördlich von Bogotá liegt. Zusammen ging es zu einer Andy-Warhol-Ausstellung und anschließend ins Café "Juán Valdez", das Starbucks in Deutschland ähnelt.



Doch hier, im Heimatland des Kaffees, ist derselbe natürlich viel besser! Abends ging es noch in die "Zona Rosa", dem Partyviertel Bogotás, wo die Mojitos gut sind und die Margaritas eher weniger.

Tag 3 - Samstag, 19. September

Am Samstag gingen wir mit Erics Gastfamilie essen. Dabei waren seine Gasteltern, seine Gastschwester Mónica und deren Freund Jeffrey, sowie einige Onkel der Familie. Die Onkel sind alle arbeitslos und sind jeden Tag von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends in der Wohnung von Eric, sodass man morgens erst einmal mit einer Vielzahl kolumbianischer Begrüßungen bombardiert wird, so zum Beispiel "¿Qué hay?", "¿Qué hubo?", "¿Cómo estás?", "¿Cómo te fue?", "¿Qué tal?", "¿Qué más?", und so weiter... ich könnte das jetzt zwar alles übersetzen, aber da die Antworten sowieso irrelevant für den Frager sind und man einfach mit "Bien" (Gut) antwortet, überlasse ich das mal eurer Fantasie.
Abends fuhren wir dann auf die Finca von Julián, einem Kolumbianer in unserem Alter, der der Freund von Lisa ist, die auch mit uns nach Kolumbien gekommen ist. (Mit ihr esse ich im ersten Eintrag die Papaya.) Die beiden haben sich während eines Auslandsjahres in Ungarn kennen gelernt und führen seitdem eine Fernbeziehung! Auf der Finca wurden wir von Juliáns Familie bekocht und lernten die typisch kolumbianische Gastfreundschaft kennen.



Die Familie wohnt hoch in den Bergen über Bogotá, wo die Luft noch rein ist und mal endlich mal wieder durchatmen konnte. Nachts konnte man hervorragend die "Via Lactéa", also die Milchstraße, sehen und in nördlicher Richtung erhellte sich der Himmel immer wieder, was angeblich Stürme in der mehreren Hundert Kilometer entfernten Karibik sein sollen, obwohl ich das nicht ganz glauben kann. Wir übernachteten anschließend auf der Finca, und am...

Tag 4 - Sonntag, 20. September

... ging es um 7.30 Uhr wieder zurück nach Bogotá, da Lilian unbedingt um 8 Uhr bei ihren Gasteltern sein musste, da diese dann loswollten. (Wir erfuhren später von Lilian, dass es tatsächlich erst um 14.30 Uhr losging.)
Nachdem wir noch ein Nickerchen bei Eric zu Hause eingelegt hatten, gingen wir noch einmal mit Erics Familie essen. Anschließend fuhren wir in zwei verschiedene Einkaufszentrum und sahen den Film "La Cruda Verdad" (Die nackte Wahrheit). Sehr sehenswert! Toll an den kolumbianischen Kinos ist, dass die Filme oft auf Englisch mit spanischen Untertiteln gezeigt werden - gut für mich, so verstehe ich wohl sogar mehr als die Kolumbianer! Schlecht hingegen war, dass der Film 10 Minuten lang im falschen Format gezeigt wurde und die Kolumbianer ein Pfeifkonzert wie bei einem Fußballspiel anstimmten, bis der Film zurückgespult wurde und das richtige Format gewählt wurde.

Tag 5 - Montag, 21. September

Mit dem "Transmilenio"-Bussystem, das dem MIO-System hier in Cali ähnelt und als Vorbild diente, ging es morgens in die Innenstadt von Bogotá, wo Eric von 9 bis 12 Uhr seinen Sprachkurs besuchte. Das gleiche am...

Tag 6 - Dienstag, 22. September

..., doch nach dem Sprachkurs machten wir einen Ausflug in den Norden Bogotás gen Zipaquirá, das von der nördlichsten Transmilenio-Station etwa eine Stunde mit dem Bus entfernt ist. In Zipaquirá gibt es eine große Salzmine, in die die sehr katholischen Minenarbeiter zu ihrem Schutz viele Kreuze hineingearbeitet haben. Heute ist die Mine von Zipaquirá ein Touristenort, obwohl einige hundert Meter weiter immer noch Salz abgebaut wird.



Das Ganze wirkt wie eine große Kirche, inklusive Engel...



... und der Berührung zwischen Adam und Gott, die man auch in der Sixtinischen Kapelle sehen kann.



Eine ehemalige Salzgesteinkammer wurde in eine Kathedrale umgestaltet, in der man sogar heiraten kann!



Die ganze Mine ist zudem mit einem Handynetz ausgestattet. Wir nahmen an einer Führung auf Englisch teil, die so ziemlich das bestorganisierteste war, was ich bisher hier erlebt habe. Als Eric dann jedoch einmal musste und unser Führer ihm die hintere Ecke der Kammer empfahl, bemerkten wir wieder, dass wir nicht in Deutschland sind.
Anschließend gingen wir am höchsten Kletterturm in Südamerika, der im Freien steht, klettern, wobei Eric sich mit seinen 15 Jahren Klettererfahrung weitaus geschickter anstellte als ich.



Danach machten wir uns zu Fuß wieder auf den Weg ins Stadtzentrum, wobei ich als Stadtkind weniger Angst vor Fußmärschen in der Dämmerung habe als Eric. Doch als dann ein Panzer vorbeifuhr (!) und überall Militärs mit Maschinenpistolen standen, fühlten wir beide uns einigermaßen sicher - wer wäre schon so blöd und überfiele uns, wenn er anschließend 10 MPs auf sich gerichtet hätte?
Wir fuhren mit dem Bus zurück in Richtung Bogotá und stoppten in Chía, wo es ein super Steakrestaurant namens "Andrés Carne de Res" (Andrés' Fleisch vom Rind) geben sollte, das mir sowohl von meinem Reiseführer als auch von mehreren "Caleños" (Einwohner von Cali) empfohlen wurde. Zu blöd nur, dass wir dort vor verschlossen Türen standen, denn das Restaurant hatte Ruhetag. Also ließen wir uns von unserem Taxifahrer ein Fleischrestaurant empfehlen - und es war das Beste, was uns hätte passieren können!



Für insgesamt 20 Euro verzehrten wir ein ganzes Kilo allerbestes Fleisch mit Käse und Zwiebeln, dazu die Beilage in Form von Tomaten und Kartoffeln, und eine Cola und ein Wasser für jeden war auch noch mit drin im Preis. Ein phänomenales Abendessen und ein denkwürdiger Moment, auf eine gewisse Weise etwas ganz Besonderes und etwas, an das Eric und ich uns auch noch in 20 Jahren erinnern werden.



Am Sonntag folgt Teil 2, mit einer Reise in eine Kolonialstadt und dem Wochenende in Girardot, der möglicherweise heißesten Stadt des Landes. Und dann auch wieder mit Videos, diesmal von der wildesten Busfahrt meines Lebens.

Euer Lars

Donnerstag, 17. September 2009

¡Rumbiamos!

Lasst uns feiern!

Meine Gastmutter Maria Nelly ist am letzten Samstag 50 Jahre alt geworden, und deshalb gab es natürlich eine große Fiesta (Feier). Eine? Nein, es waren sogar zwei, eine am Freitag mit ihren Arbeitskollegen und eine am Samstag mit der ganzen Familie. Wie in den USA ist es hier kein Problem, seinen Geburtstag schon früher zu feiern, wenn es so besser passt, oder jemandem schon vorher "¡Feliz cumpleaños!" ("Herzlichen Glückwunsch!") zu wünschen. Überraschend fand ich dann vor allem, dass bei der Feier vom Freitag in den Geburtstag hinein die Uhrzeit überhaupt keinen interessiert hat - so war ich dann der Einzige, der um Mitternacht meiner Gastmutter gratuliert hat.


Gefeiert wird hier traditionell mit viel Musik, Tanz und Aguardiente. Aguardiente ist ein... nun, ich will nicht sagen, ein ekliges Gesöff, aber als die Hochkultur des Alkohols kann man es auch nicht bezeichnen. Wenn ihr den Link öffnet, ist wenn überhaupt der zweite Teil interessant, der den kolumbianischen Aguardiente beschreibt. Durch den Anis-Anteil riecht das ganze ein bisschen wie Ouzo und wird stets pur getrunken. Nach einigen Kurzen ähnelt der Schnaps dann doch eher Wasser, was ja auch schon das "Agua" ("Wasser") im Namen ankündigt.


So sah es dann aus auf der Familienfeier.

An der Pegelhöhe im kleinen Plastikbecherchen kann man übrigens hervorragend die Nationalität - deutsch oder kolumbianisch - erkennen. Gut, das könnte man auch, wenn man die Person einfach anschaut, aber vielleicht ist man dazu nach einigen geleerten Aguardienteflaschen nicht mehr in der Lage. Dann hilft der Blick in den Becher, denn die Kolumbianer füllen diesen immer nur zu etwa einem Viertel. Als Deutscher ist man es hingegen gewohnt, sich seinen Becher aufzufüllen, denn in so ein kleines Plastikbecherchen passt ja eh nicht so viel herein. So bin ich hier schon manchmal auf überraschte Gesichter gestoßen, als ich für mich und noch jemanden Aguardiente eingeschenkt habe.


Maria Nelly mit ihren Söhnen: Sebastian, Daniel und ich.

Musikalisch wird hier auf den Feiern fast durchweg Salsa gespielt und auch dazu getanzt, was ich ziemlich cool finde. Es ist nicht wie in Deutschland, wo man in eine Tanzschule geht und alle möglichen Tänze lernt, um sie dann nie wieder anzuwenden, sondern auf den Feiern tanzt hier eigentlich jeder mit jedem Salsa - gut, Männer mit Männern natürlich nicht.



Ich habe hier auch schon einmal eine Tanzschule besucht, die mir jedoch nicht so gut gefallen hat - bei 30 Grad, zwei Ventilatoren und 40 Leuten in einem Raum von der Größe eines deutschen Klassenzimmers macht es nämlich nicht ganz so viel Spaß. So habe ich mich schon umgehört und einige Mädchen gefragt, die natürlich sofort Feuer und Flamme waren, es mir beibringen zu dürfen!
Sowieso, die Mädchen - ach, das Thema behandle ich lieber ein anderes Mal, denn ich habe nicht so viel Zeit. Schließlich gibt es für mich noch einen zweiten Grund zu feiern: Ich habe seit vorgestern für einen Monat Ferien und fahre in anderthalb Stunden zum Flughafen, um dann mit Avianca, der kolumbianischen Lufthansa, in den Norden nach Bogotá zu fliegen. Der Flug kostet 30 Euro, inklusive Steuern und Gebühren. Um mich zum Flughafen zu bringen, hat sich mein Gastvater mal eben frei genommen von der Arbeit.
Ich bleibe dann für etwa eine Woche bei Eric, der mit mir aus Deutschland nach Kolumbien gekommen ist und nun in Bogotá wohnt. Dort arbeitet er mit dem Roten Kreuz mit Straßenkindern - so ist es jedenfalls geplant, doch so richtig angelaufen ist sein Projekt noch nicht, da es momentan keinen Chef gibt. Deshalb hat er sich jetzt ebenfalls erst einmal eine Woche frei genommen, sodass wir gemeinsam Bogotá und Umgebung erkunden können.
Nach einer Woche fahren wir dann drei Stunden mit dem Bus nach Girardot, eine Stadt südlich von Bogotá, um dort Julian, der ebenfalls mit uns nach Kolumbien gekommen ist, zu besuchen. Im Anschluss daran fahre ich am Sonntag, den 27. September ich erst einmal mit dem Bus wieder 7 oder 8 Stunden zurück nach Cali in den Süden, um für meinen Geburtstag hier zu sein. Julian aus Girardot macht übrigens im Gegensatz zu Eric und mir richtig viel - und Ferien kriegt er vorerst auch keine.
Die Organisation der Ferien an meiner Schule "ya puede mejorar" - sie ist durchaus noch verbesserungswürdig. So bekam ich vor einer Woche die Information, ich hätte vom 18. September bis zum 4. Oktober Ferien. Nach mehreren Änderungen wusste eigentlich keiner mehr, wann wer zu kommen hat, denn die Schüler kommen natürlich in den Ferien nicht - die Lehrer aber müssen anwesend sein. Ich wiederum als Aushilfslehrer darf auch zu Hause bleiben, und zwar, so wurde mir am Dienstag mitgeteilt, vom 16. September bis zum 18. Oktober. Nun gut.
Da ich erst am Sonntag Abend wieder in Cali bin, kann ich euch nicht versprechen, dass ihr schon am nächsten Montag den Blogeintrag vorfindet, sondern möglicherweise bis Dienstag warten müsst. Aber dafür gibt es dann ganz viele Bilder von meiner Reise!


Zum Abschied noch ein Bild der Blumen, die meine Gastmutter geschenkt bekommen hat!

Euer Lars

Sonntag, 13. September 2009

Don Javier y su finca

Don Javier und sein Landgut

Wie ich schon im letzten Eintrag angekündigt habe, soll es hier und heute um die Finca gehen. Sonntags machen wir uns oft auf in Richtung der kühlen Berge, wobei kühl im relativen und subjektiven Kontext der Hitze zu sehen ist und daher immer noch Temperaturen von mehr als 20 Grad bedeutet. Aber das ist im Vergleich zu den stickigen 30 Grad hier schon ein deutlicher Fortschritt! (Nachmittags und abends ist es in Cali jedoch recht erfrischend wegen des Windes, der von den Bergen in die Stadt hinabweht.)


Auf dem Weg zur Finca, vorbei am Dorfladen "Der Freund"

Am letzten Sonntag waren wir also zu sechst unterwegs im ca. 15-20 Jahre alten Jeep, einem von zwei Autos, die meine Gastfamilie besitzt. Das andere Auto, ein Kombi, ist genau so alt - gefühlt noch älter, aber dazu kommen wir ein anderes Mal. Man benötigt auf jeden Fall für den Weg in die Berge einen Jeep. Wenn man denkt, es ginge gar nicht mehr schlimmer mit all den Schlaglöchern, so wird man eines Besseren belehrt, sobald sich die Straße zu einem Feldweg entwickelt, auf dem wir eine weitere halbe Stunde fahren müssen! Das ist besonders, wenn man zu dritt auf der Rückbank sitzt, nicht besonders bequem. Neben Javier und Maria Nelly, meinen Gasteltern, und Daniel, meinem Gastbruder, waren auch noch die Oma Nelly und die "Muchacha" Mari dabei.
Mari ist unser Hausmädchen, das für uns 7 Tage die Woche rund um die Uhr kocht, wäscht und putzt, wann immer wir sie benötigen. Die Hausmädchen erhalten hier, soweit ich weiß, den Mindestlohn in Höhe von 450.000 Pesos - etwa 160 Euro monatlich, zuzüglich freier Kost und Logis. Dennoch sind das nur 60 Euro mehr, als ich monatlich bekomme, und das für ihrAnwesenheit rund um die Uhr.


Wie schon letzte Woche möchte ich einen Freund zitieren - diesmal ist es Julian, der sich gerade in der kolumbianischen 150.000 Einwohner zählenden Stadt Girardot aufhält.

"Es ist sehr gewöhnungsbeduerftig, sich von jemandem bedienen zu lassen, vor allem mitzuerleben, wie sie [...] definitiv als Mensch einer niederen Klasse angesehen wird. Sie geht beispielsweise ans Telefon, bringt Sachen auf Befehl und isst alleine in der Küche, nachdem wir gegessen haben und bevor sie abwäscht. Ich weiß, das ich an dieser Situation nicht viel ändern kann. Ich versuche, das Beste daraus zu machen - zu helfen in dem Maße, wie ich darf, ihre Kochkunst zu schätzen und ihre Arbeit zu respektieren."

Ich kann nicht beurteilen, wo der kolumbianische Behandlungsstandard liegt. Auf jeden Fall ist es bei uns mehr oder weniger ebenfalls so, doch es hat mich positiv überrascht, dass meine Gastbrüder immer sehr höflich mit Mari umgehen und stets bitte und danke sagen. Mari kam also auch mit auf die Finca - auf der einen Seite als Familienmitglied, wie es mir auch von meiner Gastfamilie erklärt wurde, doch auf der anderen Seite will man ja auch am Sonntag nicht selbst kochen müssen. Ich unterhalte mich dann und wann kurz mit Mari, doch sie ist eine Ureinwohnerin und hat deshalb einen starken Akzent, den ich nur schwer verstehen kann. Doch ich denke, dass ich in einigen Monaten mehr über sie wissen werde und euch dann natürlich informiere.



Ein Überblick über die Umgebung der Finca

Auf der Finca gibt es ein paar Himbeersträucher und Guavenbäume. Guaven schmecken mir am besten als Saft mit Milch, aber man kann sie auch roh essen. Die Schale ist leicht bitter, das Innere hingegen leicht säuerlich und, wie so viele Früchte hier, geschmacklich einfach nicht beschreibbar. Mein Gastbruder mag übrigens weder den Saft noch das Innere, sondern nur die Schale. Seltsam!
Ein weiterer Angestellter, Luís Carlos, lebt Tag und Nacht auf dem Grundstück und passt auf. Unter der Woche mäht er den Rasen, hält die Pflanzen und Blumen schön und kümmert sich um den total aktiven und verspielten Hund Simón. Sobald man in der Hängematte auf der Terrasse liegt, kommt Simón an und sorgt dafür, dass man sich bloß nicht ausruhen kann!



Simón geht baden

Wenn wir dann kommen, baut Luís Carlos zum Beispiel die Tischtennisplatte auf, während wir Mittag essen. Neben seinem Häuschen steht noch unser Ferienhaus auf der Finca. Wie Mari nennt auch er meinen Gastvater "Don Carlos", wobei Don soviel wie Herr heißt und eine ehrenvolle Anrede ist. Als Arbeitgeber ist Javiers Verhältnis zu seinen Angestellten  nicht ganz so respektvoll wie zwischen uns anderen und Mari sowie Luís Carlos, aber immer noch freundlich. Er ist halt der Chef!


Die Terrasse der Finca

Auf der Finca wächst zudem ein kleines Eukalyptuswäldchen, das einmal im Jahr abgeholzt wird, um das Holz zu verkaufen. Eukalyptus ist jedoch sehr problematisch für die Umwelt, denn die Pflanze trocknet den Boden stark aus und fördert Waldbrände, die man hier des Öfteren sieht. Auch heute haben wieder die Berge um Cali gebrannt, wie schon bei unserer Ankunft mit dem Flugzeug vor zwei Wochen. Hier in Cali hat es diesen Sommer kaum geregnet, sodass alles sehr trocken ist. Die sogenannten "invasiones", also die informellen Siedlungen oder Slums, tun dann zum Teil das Übrige, sodass heute Mittag die ganze Stadt nach Qualm roch. Ich habe zwar kein Feuer gesehen, dafür aber die Löschhubschrauber. Der aufkommende Wind hat den Geruch zum Glück schnell weggeweht.


Der Río Cali, der Fluss, der durch die Stadt fließt, führt wegen der Dürre zur Zeit kaum Wasser und in den ärmeren Vierteln gibt es entweder nachts oder tagsüber kein Wasser - wann, habe ich dem Zettel leider nicht entnehmen können. Bei uns in San Fernando ist jedoch alles wie immer. Doch die Kolumbianer sind nicht gerade sparsam mit dem Wasser.
Auch mit anderen Ressourcen wie Strom oder Benzin gehen sie genau wie die US-Amerikaner sehr verschwenderisch um, wohingegen ich dank Mama zu Hause hier als leuchtendes Beispiel voranzugehen versuche. An dieser Stelle eine kleine Warnung: man sollte zu den USA nie Amerika sagen, das ist für die Südamerikaner der ganze Kontinent. So bleibt zum Beispiel bei Stopps mit dem Auto bis zu 5 Minuten grundsätzlich der Motor an, um auf jemanden zu warten oder schnell Essen beim Chinesen zu holen - so wie heute, denn Mari hatte frei, und selber kochen stand irgendwie nicht zur Debatte. Ich bin der Meinung, dass man sich dann auch nicht über zu hohe Benzinpreise beschweren kann - die übrigens mit dem Konflikt mit Venezuela zu tun haben. Darüber berichte ich einmal, wenn ich einen tieferen Einblick in die Situation gewonnen habe.
Da das Schuljahr hier bald zu Ende ist, hatte ich in der letzten Woche kaum etwas zu tun und konnte am Mittwoch ganz zu Hause bleiben. Ich habe den Tag jedoch sinnvoll genutzt und den Zoo von Cali besucht, wo auch noch zwei andere Freiwillige von AFS arbeiten. Dadurch konnte ich auch umsonst rein, wobei der Eintritt in Höhe von umgerechnet 2 Euro nicht das allergrößte Hindernis dargestellt hätte.
Der Zoo ist um den Río Cali, den Fluss, der durch die Stadt fließt, herumgebaut. Er wird als einer der schönsten Zoos Südamerikas bezeichnet und auch mir hat er, nicht nur wegen seiner Lage, sehr gut gefallen.


Es gibt under anderem Schlangen, ...


... Tiger, ...


... Schmetterlinge, ...


... Aras, ...


... Warane - die gibt es übrigens auch bei uns an der Schule, dort klettern die auf den Bäumen rum - ...


... und Schildkröten.

Heute Abend haben die beiden Fußballvereine aus Cali, América und Cali, gegeneinander gespielt. América, der Lieblingsverein meiner Gastfamilie, hat mit 3:1 gewonnen, und da wir nahe beim Stadion wohnen, konnte man von unserem Balkon aus wunderbar die Fanhorden betrachten - vor dem Spiel friedlich-euphorisch, nach dem Spiel jeder Zweite - vereinsunabhängig - mit einem Stein in der Hand.
Am Samstag ist meine Gastmutter 50 Jahre alt geworden, und wir haben am Freitag abend mit ihren Kollegen und am Samstag abend mit der Familie gefeiert. Impressionen und Berichte von der Feier gibt es nächstes Mal ausnahmsweise schon am Freitag - wieso, erfahrt ihr dann.

Bin bald, euer Lars

Montag, 7. September 2009

Imagínate que vos sos profe.

Stell dir vor, du bist Lehrer.

Die Überschrift - für den Großteil meiner Leser wahrscheinlich treffender: die deutsche Unterschrift - zeigt schon, worum es heute gehen soll: meine Arbeit in der Schule als Lehrerassistent.
Für die des Spanisch Mächtigen soll die Überschrift zudem eine kleine Herausforderung in Form des Voseos darstellen, ein in verschiedenen Teilen Lateinamerikas übliches "morphosyntaktisches Merkmal" (laut Wikipedia). Auf gut Deutsch: Statt "tú" (das bedeutet "du") sagt man hier in Cali "vos", und die Verben haben für diese Person andere Formen. Es wäre ja auch zu schön, wenn man hier mit dem Spanisch, das man in der Schule lernt, etwas anfangen könnte. Aber das ist natürlich übertrieben und ironisch - jeder versteht hier "tú" und für Leute, die man nicht so gut kennt, ist es auch die treffende Anrede statt "Usted" (das bedeutet "Sie"), was hier wiederum fast niemand benutzt. Doch ich will ja so gut es geht das örtliche Spanisch sprechen, und da gehören solche Feinheiten eben dazu.


Mit diesem Bus fahre ich immer zum Colegio INEM.

Meine dortige Tätigkeit ordne ich unter dem Begriff "sprachliche und fachliche Schocktherapie" ein. Zackbumm. Zur Begriffsklärung: Unter "fachlicher Schocktherapie" verstehe ich die folgende Aktion. Man stecke den Deutschen einfach in eine Schule, in der die Schüler nur Spanisch sprechen, und wenn die Französischlehrerin nicht da ist, übernimmt der Deutsche die Klasse mal schnell für eine Stunde. Französischunterricht? Problematisch, wenn die Schüler nach mehr als zwei Jahren immer noch nicht in der Sprache sagen können, wie alt sie sind. Hier muss ich jedoch anmerken, dass es bei meinem alten Französischlehrer Herrn Behrens im Rückblick auch nicht immer besser aussah - und es weder jetzt noch damals, weder hier noch dort am Lehrer liegt bzw. lag.
Also kein Französischunterricht. "¿Saben hablar inglés?" ("Könnt ihr denn Englisch?") Hmm, ein oder zwei Schüler ja, der Rest nicht. Daher der Begriff "sprachliche Schocktherapie": Ich MUSS Spanisch sprechen!Und jetzt ganz ehrlich, ohne Ironie: toll!
Wer mich kennt, weiß, dass das genau die Situationen sind, die ich gesucht habe. Mich selbst herausfordern, neue Wege erkunden - und natürlich, man vergesse das Ziel des Programms nicht, Entwicklungshilfe leisten. Diesbezüglich gehen die Meinungen auseinander - leiste ich tatsächlich Entwicklungshilfe, sind also eure Spenden, liebe Spender, und eure Steuern, liebe Steuerzahler, gut angelegt? Oder ist das Ganze, wie die Süddeutsche Zeitung es nennt, ein Egotrip ins Elend?


Um sie geht es: die Schüler am Colegio INEM.

Jan in Paraguay, ein AFS-Kollege, dessen Blog ich euch sehr empfehlen kann, schreibt sehr passend:

"Ich wollte einfach in ein warmes Land und ich wollte Spanisch lernen. Ich will ehrlich sein. Kaum jemand tut all dies nur aus altruistischen Beweggruenden. Dennoch bin ich froh, tatsächlich etwas bewegen zu koennen."

Diese Aussage kann ich so unterschreiben. Doch im Gegensatz zu Jan, der oftmals eine Verschwendung von Steuergeldern anprangert, sehe ich mich hier als gute Investition in die Zukunft kolumbianischer Kinder an. Während professionelle Entwicklungshelfer in vielen Projekten sicherlich weitaus effizienter sind als Jugendliche, die die Welt erkunden wollen, ist in meinem Projekt Vertrauen und Interesse der Schüler in bzw. an mir ein wichtiger Bestandteil, um das Projektziel erreichen zu können, also das Englisch der Schüler zu verbessern.


Meine ersten Lehrversuche sind hier sichtbar.

Bezüglich des Vertrauens gehört es dann zum Beispiel auch dazu, dass ich mit den Schülern letzte Woche Fußball gespielt habe in einer Freistunde, von denen ich übrigens mehr als genug habe, bis im Oktober das neue Schuljahr anfängt. Die Schüler denken jetzt übrigens, ich sei ein Fußballgott - das sind die Deutschen für die Kolumbianer sowieso alle - denn ich habe ein wunderschönes Tor erzielt, und mich kurz darauf mit dem Hinweis "¡Hace tanto calor!" ("Es ist zu heiß!") auf die Auswechselbank unter die schattige Palme zu den Mädchen zurückgezogen. (Es war übrigens bei 30 Grad in der Sonne tatsächlich heiß, wie jeden Tag.)
In der letzten Woche war ich neben der Einzelstunde Französisch immer mit verschiedenen Lehrern im Englischunterricht im Einsatz. Ich habe mich fast immer auf Englisch und Spanisch vorgestellt, da die Fremdsprachenkenntnisse der Schüler hier einfach katastrophal sind! Anschließend haben wir beispielsweise in der sechsten Klasse ein Spiel gespielt, wo ich mich nur auf Englisch vorgestellt habe - wie heiße ich, woher komme ich, wie viele Geschwister habe ich - und die Schüler dann versucht haben, die wichtigen Informationen herauszufiltern. Das ganze ist im folgenden Video sichtbar.



Diese Woche geht es richtig los: so muss ich morgen früh um 7.30 Uhr in der Schule sein und arbeite bis 15.30 Uhr. Am Dienstag arbeite ich dann von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr, am Mittwoch von 13.30 Uhr bis 15.30 Uhr, am Donnerstag von 9.30 Uhr bis 15.30 Uhr - und am Freitag hab ich frei. (Wie beim Sams.) Doch dies ist wie gesagt nur der vorläufige Stundenplan, da hier das Schuljahr gerade zu Ende geht. Ab Oktober wird dann malocht. (Auf kolumbianisch, ergo: gearbeitet. Für die Maloche hat man hier Angestellte. Dazu mehr nächste Woche.)
Ich werde in meiner Ansicht bestätigt, dass ich das Vertrauen der Schüler gewinnen und ihr Interesse am Englisch lernen wecken kann, wenn die Schüler im normalen Unterricht mehr oder weniger machen, was sie wollen, aber mir tatsächlich aufmerksam zuhören und Fragen stellen, nachdem ich mich kurz auf Englisch und einer gleichzeitigen Satz-für-Satz-Übersetzung auf Spanisch vorgestellt habe. Meine Französischklasse, in der wir vorwiegend Spanisch gesprochen haben, war total ruhig, und ich glaube, dies ist der richtige Weg.


Is this the way to Amarillo? (Ist das der Weg nach Amarillo?)


Nein, es ist nur der Weg zur Finca, unserem Hof hoch in der Andenkordillere westlich von Cali, in Richtung Pazifik. Doch da ich ja will, dass ihr immer mal wieder reinschaut, kommt der Bericht über die Finca erst nächstes Mal, wie schon der Bericht über die Angestellten, denn die beiden Themen gehören zusammen.

Euer Lars