Mittwoch, 26. Mai 2010

En el mismo lugar sigue Cartagena ...

Cartagena ist immer noch am gleichen Ort ...

Seit vier Monaten fragt mich Eric, wann ich denn nun endlich den Bericht über unsere Reise im Januar schreiben würde, und seit vier Monaten habe ich ihn vertröstet - bis heute, denn nun ist es soweit. Ironie des Schicksals: Eric reist gerade mit seinen Eltern durch Kolumbien und hat somit für die nächsten drei Wochen wohl keine Zeit, sich den Blogeintrag durchzulesen.


Dieses Lied hörte ich gestern und fand es ganz passend, um den Blogeintrag ein bisschen musikalisch aufzulockern. Das Lied heißt "Un día después" (Ein Tag danach) und kommt von der Salsa-Band "Grupo Niche" aus Cali. In dem Ausschnitt wird dementsprechend Salsa getanzt, zum folgenden Text:

"En el mismo lugar sigue Cartagena, con la misma playa, con la misma arena."
(Cartagena ist immer noch am gleichen Ort, mit dem gleichen Strand, mit dem gleichen Sand.)
Das reimt sich sogar auf Deutsch viel besser als auf Spanisch! Wer Gefallen am Musikstil gefunden hat, kann sich das komplette Video hier anschauen.


2. Januar 2010: Cali - Medellín (Reisebus)
6. Januar 2010: Medellín - Bogotá - Cartagena (Flugzeug)
9. Januar 2010: Cartagena - Santa Marta (Reisebus)
14. Januar 2010: Santa Marta - Bogotá - Cali (Flugzeug)

Hier könnt ihr noch einmal die Reiseroute sehen, die ich bereits im letzten Eintrag veröffentlicht hatte. Mittlerweile sind wir angekommen bei ...

Tag 5 - Mittwoch, 6. Januar 2010

Ich erblickte die Hafenstadt Cartagena zum ersten Mal aus dem Flugzeug. Im Vordergrund sieht man die innerstädtische Bucht, dahinter eine schmale Landzunge und dann kommt der Atlantische Ozean.


Das Kreuzfahrtschiff im Zentrum zeigt schon, dass Cartagena eine touristische Stadt ist, und die folgenden Tage sollten es bestätigen. Noch nie zuvor in Kolumbien habe ich so viele Deutsche gesehen und gehört, wobei meistens das Aussehen mit Sandalen und Tennissocken zur einwandfreien Identifizierung ausreichte.


Die Stadt erinnert von der Luft aus gesehen spontan an eine Küstenstadt am Mittelmeer, zum Beispiel in Tunesien, oder am Golf im Mittleren Osten wie zum Beispiel Dubai. Dass das nicht ganz abwegig ist, beweist der am meisten bekannte Exportartikel Kolumbiens - nein, weder das eine noch das andere K, sondern Shakira! Die kommt nämlich ganz aus der Nähe aus Barranquilla und hat einen libanesischen Vater. Laut Wikipedia stammt die Hälfte der Bewohner der Küstenregion um Cartagena, Barranquilla und Santa Marta von Arabern ab, doch dies habe zumindest ich den Leuten nicht angesehen.
Um 14 Uhr am Flughafen angekommen telefonierte ich mit Eric, der aus Santa Marta anreiste. Er war laut eigener Aussage in einem Bus, den man am besten unter dem Begriff "transporte de vacas" (Kuhtransporter) beschreiben kann. Besonders als Weißer muss man hier höllisch aufpassen, dass man nicht in eine solche Klitsche gerät, geschätzt mit Euro 0 Norm und zugelassen im Jahre 1970, wie man ihn immer wieder auf Kolumbiens Straßen und Busbahnhöfen vorfindet.
Es dauerte also noch eine Weile, bis Eric ankommen würde, und so machte ich mich auf die Suche nach einem Hotel. Da um den Jahreswechsel in Kolumbien Hochsaison ist, waren die Hotels aus dem Lonely Planet-Reiseführer schon vergeben. Zum Glück gab es am Flughafen eine Touristeninformation, die uns ein Zimmer mit Klimaanlage für 90.000 Pesos, damals umgerechnet 30 Euro, besorgte.


Ich lernte schon einmal die Stadt kennen, bevor Eric eintrudelte. Sofort wurde mir bewusst, wie touristisch Cartagena war.

"¿Gringo, quieres coca? ¿Gringo, tienes dólares?"
(Ami, willst du Kokain? Ami, hast du Dollars?)
Da hilft einfach nur ignorieren und weitergehen, wobei eine Karte oder ein Reiseführer sich natürlich bemerkbar macht. Also versuche ich in fremden Städten immer, den Weg zum Hotel auswendig zu lernen, um nicht anhalten oder nachfragen zu müssen. Die Hauptsache ist es, sich selbstbewusst zu zeigen, und so zu tun, als wüsste man, was man will oder wo es hingeht. Der Reiseführer war dann aber doch noch zu etwas gut - er sagte mir, bloß nicht auf das Angebot einzugehen, die Geldbörse zu zeigen. Cool, da wäre ich selber nie drauf gekommen.
Bald kam dann auch Eric an und wir liefen vom Marktplatz aus ohne Karte zum Hotel, das wir nach einigen Umwegen dann auch erreichten. Wir aßen noch eine Pizza im Viertel, hoben ein wenig Geld ab und machten es uns dann bei Erics portabler Wasserpfeife, Rum, Cola und Zitronen auf dem Dach des Hotels gemütlich, wo wir bis spät in die Nacht den Sternenhimmel über der Karibik betrachteten und uns über Gott und die Welt unterhielten.

Tag 6 - Donnerstag, 7. Januar 2010

Früh morgens klingelte der Wecker und wir packten unsere Sachen, denn es sollte heute zu den "Islas del Rosario" (Rosenkranz-Inseln) gehen. Wie schon mehrmals gesagt, die katholische Religion spielt hier in Kolumbien eine nach europäischen Maßstäben unglaublich große Rolle im Alltag.


Vorbei an zwielichtigen Verkäufern - "¿Coca?" - und angeblichen Währungswechslern -  "¿Dólares?" - liefen wir zum Hafen, um dort um acht Uhr ein Schiff zu besteigen. Wir kauften also an einem der vielen Stände die Bootsfahrt, und damit mal wieder die Katze im Sack. Unser Boot war eine kleine Schaluppe, nicht im allerbesten Zustand und von über zwanzig das Einzige ohne Sonnendach - genau das Richtige für zwei doofe Weiße! Aus acht Uhr wurde dann auch halb zehn, bevor wir ablegten und an der anfangs genannten Landzunge dem Meer entgegen fuhren. Zuvor kam noch ein Mitarbeiter der Küstenwache auf unser Boot und erklärte uns, man müsse das Meer und die Korallen schützen. Gute Idee - zur Umsetzung kommen wir dann später.


Auf diesem schmalen Streifen liegt Cartagenas reichster Stadtteil "Bocagrande" (großer Mund). Und wo wir schon mal beim Mittleren Osten waren - diese Wolkenkratzer am Meer machen aus Cartagena das "Dubai der Karibik"!


Natürlich haben die hier ansässigen Einwohner auch einen standesgemäßen Untersatz, wenn es aufs Wasser geht.


Ein Blick auf die Altstadt Cartagenas, die meiner Meinung nach deutlich schöner ist als so ein Wolkenkratzer. 


Aber wie immer gibt es in Kolumbien noch das nicht zu verachtende Argument "Sicherheit" - und die ist in einem Hochhaus mit Türsteher und Schwimmbad sicherlich höher als in einem Kolonialbau, der direkt an einer öffentlich zugänglichen Straße liegt! Da könnte ja jeder vorbeikommen! Und was hier ironisch anklingt, ist leider traurige Wahrheit. Wenn ich hier dauerhaft leben würde, dann würde ich auch der Sicherheit halber das Hochhaus vorziehen.


Doch bald entschwanden sowohl die Hochhäuser als auch die Altstadt unserem Blickfeld und wurden ersetzt durch Palmen, Strände und Fischerhütten.


Vorbei am Fort ging es hinaus aufs offene Meer, wo Fischer mit Harpunen auf die Jagd nach dem Abendessen gingen. Nach einer knappen Stunde Fahrzeit erreichten wir die Inselgruppe, auf der sowohl der Präsident Kolumbiens als auch der letzte Woche erwähnte Pablo Éscobar eine Insel besitzen bzw. im zweiten Falle besessen haben.
Wir legten vor einem großen Meerwasseraquarium auf der Hauptinsel an und wurden vor die Wahl gestellt, dieses zu besichtigen oder für ein paar Pesos extra schnorcheln zu gehen. Wir überlegten nicht lange und entschlossen uns als einzige auf unserem Boot fürs Schnorcheln. Wenn ich die gleichen Fische im offenen Meer sehen kann, dann gehe ich doch nicht in ein Aquarium!
Es ging also in einem anderen Boot ein paar Minuten weg vom Steg zu einem Korallenriff, wo geankert wurde. Dann wurde uns gesagt, wir sollten die Schwimmweste anlegen. Eric und ich schauten uns ein bisschen verdattert an... wie sollte man denn bitte mit einer Schwimmweste schnorcheln? Ich fragte also nach, ob das obligatorisch sei, und bekam als Antwort, es sei empfohlen. Ob wir denn schwimmen könnten?
Das kann man sich als Deutscher nicht vorstellen - dieses Land besitzt unzählige Flüsse sowie zwei Ozeanküsten, doch kaum ein Kolumbianer kann schwimmen! Was in Deutschland zu Recht in der Schule verpflichtend unterrichtet wird, kann man hier in Kolumbien privat machen - oder man lässt es, wie anscheinend alle anderen in dem Boot!
Wir schnorchelten also fröhlich mit einem der Männer vom Boot durch die Gegend, und  betrachteten die bunten Meeresbewohner, während die anderen 30 Touristen in ihren Schwimmwesten im Wasser herumstrampelten. Vielleicht wäre da das Aquarium doch die bessere Alternative gewesen! Dadurch waren Eric und ich auch die einzigen, die sahen, was sich unter Wasser abspielte. Wir hatten nämlich mitten im Korallenriff geankert und der schwere Anker zog eine Spur der Verwüstung durch dieses. Umweltbewusstsein? Naturschutz? Der Gedanke daran, dass genau dieses Korallenriff vielen Leuten durch den Tourismus Arbeit gibt? Alles vergessen und verraten!
Wir retteten noch eine Haarspange vom Riff, die eine der Frauen mit Schwimmweste verloren hatte, und zogen uns dabei leichte Verbrennungen durch die Koralle zu. Die war anscheinend ein bisschen sauer wegen des Ankers und ließ das dann an uns aus - na toll!
Zurück in unserem Boot hatte sich die See doch merklich aufgeraut. Das interessierte unseren Kapitän recht wenig und er brauste mit Vollgas über die Wellen, wie schon auf dem Weg von Turbo nach Capurganá. Wir wunderten uns nicht mehr über den etwas beschädigten Zustand des Bootes und waren froh, nach einer halben Stunde an der "Playa Blanca" (Weißer Strand) heil und gesund anzukommen. Das Boot gehörte wahrscheinlich nicht dem Kapitän, sodass ihn der Zustand nicht interessierte - oder er wusste einfach nicht, dass alle zwei Sekunden auf den Rumpf krachende Wellen eher suboptimal für die längerfristige Verwendung des Bootes sind.


An diesem tatsächlich richtig weißen Strand wollten wir also für die Nacht bleiben.  Und damit soll es auch erst einmal reichen für heute, schließlich wurde ich von Jan in Paraguay mehrfach auf die Überlänge meiner Texte hingewiesen. Wie eine halbe Flasche Rum uns weiterhilft, wie wir plötzlich in einer fahrbaren Sauna sitzen und wie wir mit Schlagstock und Holzlatte bewaffnet unser Gepäck in der Wallachei bewachen - all das gibt es nächste Woche!

Lars

Montag, 17. Mai 2010

¡Me enamoré de Medellín!

Ich habe mich in Medellín verliebt!

Das Wichtigste vorweg für alle geografischen Legastheniker: nein, Medellín ist kein Mädchen, sondern eine Stadt, in der ich im Januar war.


Schon vier Monate her, schäme ich mich da nicht? Nein, denn erstens will ich den Blog auch selber als Erinnerung haben und da gilt dann "besser spät als nie" - und zweitens hättet ihr es sowieso nicht gemerkt, da mit dem immer gleichen Wetter die Landschaft auch immer gleich aussieht.
Im Anschluss an Medellín sollte es dann weitergehen nach Cartagena, um mich dort mit Eric zu treffen. Danach wollten wir gemeinsam an der Küste entlang fahren, in Richtung des uns bereits bekannten Santa Marta. Daher gibt es auch wieder eine Landkarte für euch mit dem Routenverlauf.


2. Januar 2010: Cali - Medellín (Reisebus)
6. Januar 2010: Medellín - Bogotá - Cartagena (Flugzeug)
9. Januar 2010: Cartagena - Santa Marta (Reisebus)
14. Januar 2010: Santa Marta - Bogotá - Cali (Flugzeug)

Tag 1 - Samstag, 2. Januar 2010

Kurz nach der eher enttäuschenden Silvesterfeier wollte ich also nach Medellín, um Katja zu besuchen, die dort mit AFS und weltwärts genau wie ich am Colegio INEM arbeitet. Da sowohl in Cali als auch in Medellín die Flughäfen relativ weit außerhalb der Stadt liegen, entschloss ich mich zu einer Busreise, um das Land zu sehen. Ich hatte vorher meine Gastfamilie gefragt, ob man das Busticket wohl schon ein paar Tage vorher kaufen solle - "nein, da gibt's immer genug Plätze". Am Busterminal angekommen gab es natürlich KEINE freien Plätze mehr bei Bolivariano, der besten kolumbianischen Fernbuslinie.
Wieder was gelernt - nie fragen, sondern nur sich selbst vertrauen. Kolumbianer neigen nämlich dazu, anstatt eines klaren "Ich weiß es nicht" so zu tun, als hätten sie Ahnung - und der dumme Deutsche glaubt das dann auch noch. Zum Glück hatte Arauca, eine andere Buslinie, ausnahmsweise einen Extrabus an diesem Morgen eingesetzt und so fand ich doch noch einen Sitzplatz. Der Mann, der das Gepäck in den Bus verlud, meinte bei meinem Anblick: "Cuesta 2 dólares." ("Das kostet 2 Dollar.") Ich erwiderte, dass ich nicht aus den USA sei, sondern aus "Alemania" (Deutschland), worauf er meinte: "Entonces dame 2 alemanes." ("Dann gib mir halt 2 Deutsche.") Wieder einmal ein Beispiel, wie meine weiße Hautfarbe für viele Kolumbianer ganz einfach Reichtum bedeutet. Ich setzte mich also in den recht bequemen Reisesessel und versuchte zu schlafen, während der Bus neun Stunden lang über unzählige Serpentinen hinweg seinem Ziel entgegen schaukelte.


Schon bevor der Bus in die Stadt von Medellín hereinfuhr, ging es für einige Minuten an den mit Häusern bedeckten Hängen vorbei. Medellín ist nämlich genau wie Cali in einem Talkessel gebaut, wobei Cali deutlich mehr Platz hat. In Medellín hingegen werden schon seit langem die Vororte eingemeindet und die Elendssiedlungen ziehen sich immer weiter die Berge hinauf. Im ganzen Land wurden und werden Bauern durch die Kämpfe zwischen der Guerrilla, den Paramilitärs und dem Staat dazu gezwungen, ihre Felder und ihr Land aufzugeben und als "desplazados" (Verdrängte) in diese sogenannten "invasiones" (informelle Siedlungen, besser bekannt als Slums) zu ziehen.


Wie man hier sehr schön sehen kann, ist ein weiteres Problem dieser Talkessel-Bauweise der Smog, der sich über der Stadt ablagert und nicht über die Berge rüberkommt. Für die Gründer im 16. und 17. Jahrhundert waren Talkessel natürlich hervorragende Orte, um sich gegen eventuell angreifende Ureinwohner zu schützen, doch heute leiden fast alle kolumbianischen Großstädte unter ihrem Standort, besonders wenn wie beispielsweise in Bogotá kaum Wind herrscht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Jahr Rauchen in Deutschland gesünder ist als ein Jahr in Bogotá zu leben und zu arbeiten.

Tag 2 - Sonntag, 3. Januar 2010

Am ersten ganzen Tag in Medellín wollte ich natürlich die Stadt kennen lernen. Katja und ich fuhren also mit dem Zubringerbus zur "metro", die einer deutschen S-Bahn entspricht. Aber das wissen die aufmerksamen Leser meines Blogs ja schon - wer nicht, sucht hier nach dem Text über "Tag 8 - Samstag, 13. März 2010". Die Bahn fährt alle fünf Minuten und ist wie alle kolumbianischen Transportmittel stets überfüllt.


Katja wollte mir das Skigondel-artige "metrocable" zeigen, das die bereits erwähnten, an den Hügeln gelegenen Armensiedlungen an den ÖPNV anschließt. Was Cali gerade erst plant, wurde in Medellín schon vor einigen Jahren verwirklicht. Die Verbindung mit dem Rest der Stadt ist natürlich ein Faktor, der den Wohlstand und die Lebensqualität in den betreffenden Bezirken erheblich steigert und somit viel zur positiven Entwicklung der Stadt beiträgt.


Über die einfachen Behausungen hinweg ...


... fuhren wir hoch zu diesen glänzenden Steinquadern, die als Bibliothek fungieren.


Ein in meinen Augen gelungenes Beispiel von gelungener Integration dieser Stadtteile, in denen das Bildungsniveau ja leider sehr gering ist. Durch die Bibliothek haben die Einwohner und besonders die Jugendlichen nun Zugang zu Büchern, dem Internet und Tageszeitungen. Endlich hat mal jemand nachgedacht, sich eine Lösung für die Probleme überlegt und das Ganze dann auch noch umgesetzt - ein Beispiel, das unter dem, was ich bisher gesehen habe, seinesgleichen sucht in Kolumbien. In Cali wird momentan ebenfalls versucht, die gleichen Probleme zu lösen, doch alles ist noch in der Planung oder im Bau - da hat Medellín zehn Jahre Vorsprung!


Nach einem Rundgang durch die Bibliothek fuhren wir mit der Metro wieder zurück in die Innenstadt, wo wir den Botanischen Garten besuchten. Ein Park in der Innenstadt, sauber, sicher, und kostenlos! Nach damals vier Monaten in Cali geriet ich total in Ekstase wegen dieser so städtischen Kultur, denn in Cali gibt es keinen Stadtpark, der sauber geschweige denn sicher ist. Man lernt die meisten Sachen einfach erst dann zu schätzen, wenn man sie plötzlich nicht mehr hat.


Im Vergleich zu Medellín ist Cali schlicht und einfach ein Dorf. Damals in der 12. Klasse redeten wir in Geografie bei Frau Hoffmann darüber, was wohl eine Stadt ausmachen würde. Jung und unwissend dachten wir alle, die Größe sei entscheidend.


Mittlerweile jedoch ist für mich eine Stadt ein Ort, in dem es umfassende kulturelle oder infrastrukturelle Einrichtungen gibt, seien es Parks, Museen, S-Bahnen oder sonstige Dinge, die sich einfach nur eine Stadt auf Grund ihrer Finanzkraft leisten kann. Größe hingegen bedeutet gar nichts - eine 8-Millionen-Stadt ohne solche Institutionen ist dann meistens ein Moloch, die städtische Kultur nicht existent.


Wir gingen anschließend eine halbe Stunde zu Fuß ins Zentrum, wobei uns im Nachhinein gesagt wurde, die durchquerten Viertel seien gefährlich. Aber um es mal ganz klar zu sagen: irgendwie ist alles in Kolumbien gefährlich.


Vorbei an dieser Kirche ging es ins Zentrum, wo sich das Museum von Antioquia befindet. Antioquia ist das Bundesland, in dem Medellín liegt. Über die Feiertage bis Mitte Januar war der Eintritt gratis - wieder ein Beispiel von städtischer Kultur - und so sahen wir uns die Bilder und Skupturen an.


Der in dem anderen, oben verlinkten Text bereits erwähnte Fernando Botero ist nämlich nicht nur Bildhauer, sondern auch Maler, und so bestand ein Großteil der Ausstellungsstücke aus seinen Werken.


Die Bewohner von Medellín und Umgebung nennen sich "paisas", was vom Begriff "paisano" (Landsmann) abstammt. Die "paisas" sind so etwas wie die Bayern Kolumbiens - nicht nur wegen des Wohnorts in bergiger Lage, sondern auch wegen des Selbstverständnisses, das die Einwohner der Region von sich haben. Die Paisas in Kolumbien sahen sich schon immer als Entdecker und Pioniere, was in vielen der Gemälden zu sehen war.


Nach der Besichtigung holte uns dann Felipe, Katjas Gastcousin, mit seinem Auto ab. Mit ihm fuhren wir zu einigen Freunden und so wurde am Abend der Aguardiente (Anisschnaps) aus Antioquia ausgiebig verkostet.

Tag 3 - Montag, 4. Januar 2010

Zu ausgiebig! Das dachten sowohl Katja als auch ich, als wir am nächsten Morgen mit einem Riesenkater aufwachten. Außerdem hatten wir uns für morgens um 10 Uhr zum Gleitschirmfliegen, auch Paragliding genannt, in den Bergen um Medellín angemeldet. Wir machten uns aber erst um 10 Uhr auf den Weg zum Bus und kamen 90 Minuten zu spät. Wie man sieht, waren wir schon nach nur vier Monaten schon sehr gut kolumbianisiert. Für 75.000 Pesos (damals noch 25 Euro, mittlerweile dank Griechenland 30 Euro) ging es für 20 Minuten im Tandem-Gleitschirm in die Luft.


Nach einer kurzen Einweisung für Katja ging es dann auch schon los - einfach loslaufen und abheben!


Nach Katja hob ich dann auch ab, und das Gefühl ist einfach unbeschreiblich - man schwebt in der Luft und fliegt. Einfach so! Ich war total fasziniert.


Das flaue Gefühl im Magen, das zumindest ich beim Sehen dieses Videos bekomme, ist das gleiche, das ich auch beim Fliegen hatte. Dementsprechend machte sich dann auch der Aguardiente wieder bemerkbar und nur ganz knapp entgingen die Kühe ...


... einem Luftangriff meinerseits - glücklicherweise verschwand die Übelkeit nach zehn Minuten wieder.


Daraufhin schoss ich noch ein paar Fotos von Himmel ...


... und Erde.


Man beachte den wunderschönen Wasserfall in der Mitte!


In vielleicht 200 Meter Abstand flog dann dieses Flugzeug an uns vorbei, was doch schon recht beeindruckend war - und uns in Deutschland ganz sicher eine Anzeige wegen Gefährdung des Luftverkehrs eingebracht hätte. Passion halt. Ich unterhielt mich noch eine Weile mit dem Gleitschirmpiloten, bis er wieder zur Landung ansetzte und ich endlich wieder Boden unter den Füßen hatte.
Abends holten wir noch Lisa, ebenfalls mit AFS und weltwärts in Kolumbien, vom Busbahnhof ab. Sie war aus Bogotá gekommen, um genau wie ich Katja und Medellín zu besuchen, und da Katjas Gastmutter zu irgendwelchen Familienmitgliedern gefahren war, hatten wir die Wohnung ganz für uns allein. Doch viel Ruhe hatten wir nicht, denn am ...

Tag 4 - Dienstag, 5. Januar 2010

... ging es um sechs Uhr morgens mit Felipe auf nach Doradal. Dort befindet sich die "Hacienda Nápoles" ("Landgut Neapel"), die einmal Pablo Éscobar gehörte. Die Autofahrt dauerte drei Stunden und ging an bestimmt dreißig Miitärposten vorbei. Zum Schutz der Bevölkerung vor der Guerrilla, die sich dann und wann aus dem Wald herauswagt und Autos oder LKWs überfällt, wird in Kolumbien die Armee an allen Landstraßen eingesetzt.
Die Bevölkerung ist da aber anderer Meinung und sieht die Armee nicht als Schutz, sondern als Schikane an. Daher hatte diese im Dezember eine Kampagne zur Verbesserung ihres Images gestartet, im Sinne von "Die Armee - dein Freund und Helfer". Die Soldaten, meist 18-jährige Wehrdienstleistende, wurden dazu verpflichtet, jedem vorbeifahrenden Auto dem Daumen herauszustrecken. Katja, Lisa und ich erwiderten den Gruß jedes Mal, denn wir konnten uns vorstellen, dass es sicher nicht die reinste Wonne ist, Tag für Tag an einer Straße im Dschungel zu stehen.


Die Hacienda Nápoles wurde vor einigen Jahren in einen Themenpark umgewandelt. Nach dem Tod Éscobars verfielen die Gebäude und Einrichtungen, und die Tiere, die Éscobar sich in seinem Privatzoo hielt, verhungerten. Alle Tiere? Nein, es gibt ja auch einige Überlebenskünstler, und zwar ...


... Nilpferde!


Die einzige wilde Nilpferd-Herde außerhalb Afrikas lebt in diesem See und ist die tierische Hauptattraktion des Parks. Nilpferde sind zwar Pflanzenfresser, aber auf Menschen unglaublich schlecht zu sprechen, und daher ist der ganze See mit einem Elektrozaun abgesperrt.


Dises junge Nilpferd ist das einzig handzahme, da es von Menschen aufgezogen wurde und so an uns gewöhnt ist. Ich konnte es sogar an der Schnauze streicheln!

 

Aber was so ein richtiger Drogenbaron ist, der hält sich nicht nur Nilpferde, ...


... sondern auch Zebras, ...


... Büffel, ...


... Jaguare ...


... und Dinosaurier für seinen Sohn!


Ich gebe zu, das alles klingt zwar irgendwie größenwahnsinnig, aber auch in einer gewissen Art und Weise sympathisch. Drogenbaron kauft sich ein Stück Land, baut sich da seine Traum-Ranch mit riesigem Fuhrpark  - mittlerweile verrostet - ...


... und eigener Flugpiste, um alle paar Wochen eine Lieferung in die USA zu bringen. Klingt idyllisch. Deshalb gibt es auch noch einen zweiten Teil dieses Themenparks, und zwar Pablo Éscobars alte Villa.


Unglücklicherweise liegt die Hacienda Nápoles mit drei Stunden Autofahrt nach Medellín und fünf Stunden Fahrt nach Bogotá fernab von Gut und Böse, denn jeder Kolumbianer und Besucher dieses Landes sollte dieses Museum einmal gesehen haben.


Der schlimmste Kriminelle unserer Geschichte

Ein komplettes Leben dem Verbrechen gewidmet: Pablo Éscobar schaffte es, sich den alles außer ehrenhaften Titel zu verdienen, der schlimmste Verbrecher unserer Geschichte zu sein. Dafür lernte er von allen bekannten Vorbildern, besonders von den Paten der Mafia, sowohl von den echten als auch von denen aus den Filmen, und von anderen Persönlichkeiten der Vergangenheit, die so boshaft waren wie er. In diesem Haus werden sie alle beschrieben, um diesen Ort zum neuen Wörterbuch des Verbrechens zu machen.


Hier sieht man noch ein paar Bilder der Hacienda Nápoles, wie sie damals aussah. Der obige Text zeigt, dass Pablo Éscobar alles andere als liebenswert und sympatisch war. Beispielsweise brachte er 1990 als Machtdemonstration alle 3 (!) Präsidentschaftskandidaten Kolumbiens um, nachdem sein Angebot, gegen Freiheit im Drogenhandel und vor Strafverfolgung die kompletten Auslandsschulden des Landes zu übernehmen (zu dem Zeitpunkt etwa 13 Milliarden US-Dollar!), abgelehnt wurde. Dafür ließ er sogar ein Passagierflugzeug der Avianca explodieren, um dann festzustellen, dass das geplante Anschlagsopfer gar nicht an Bord war. Die Geschichte Pablo Éscobars ist eine recht lange und kuriose - wer mag, liest sich den Wikipedia-Artikel durch. Nur so viel: sie hat in etwa genau so viel von Idylle und Sympathie wie die des Dritten Reiches.


Viele Einwohner Medellíns sehen das jedoch anders und verehren Pablo Éscobar noch heute als Helden der Armen im Stile Robin Hoods, wie man an dieser Menschenmenge während seiner Beerdigung 1993 nach der Ermordung durch die kolumbianische Polizei sieht. Schließlich baute Éscobar in Medellín mit seinem Vermögen Wohnungen, Krankenhäuser und Schulen für die Unterschicht, und so kamen zur Beerdigung 20.000 Anhänger Éscobars.


Noch heute ist sein Grab eine beliebte Pilgerstätte - und daher bin ich ganz glücklich, dass die Russen Hitlers Asche in einen Fluss streuten, anstatt ihm ein offizielles Grab zu geben und den Leuten somit die Möglichkeit zur Huldigung zu eröffnen.


Das hier sind weitere, weniger extreme Beispiele der Tierwelt auf der Hacienda Nápoles.


Ein unglaublich interessanter Aufenthalt, der einen dieses Land doch ein bisschen besser verstehen lässt. Ich habe Respekt vor den Kolumbianern, wie viel Lebensfreude sie nach 50 Jahren Bürgerkrieg immer noch zeigen.


Mit dieser "chiva" ging es vorbei an der Stierkampfarena ...


... und den Dinos ...


... wieder zurück zum Ausgang, denn wir hatten ja noch einen langen Heinweg vor uns. Felipe brachte uns mit halbstündigen Kaffeepausen und einem Zwischenstopp zum Baden an einem Fluss sicher nach Hause und ich packte meine Sachen, denn am ...

Tag 5 - Mittwoch, 6. Januar 2010

... flog ich von Medellín über Bogotá nach Cartagena, um mich dort mit Eric zu treffen. Vorbei am Vulkan Nevado del Ruiz - ja, auch in Kolumbien haben wir Schnee - flog ich mit AeroRepública der Karibik entgegen!


Darüber gibt es dann nächstes Mal mehr zu lesen.

Ich freue mich auf euer Kommentare, euer Lars