Montag, 30. November 2009

Circo, cerro, corrida, y colegio

Zirkus, Hügel, Stierkampf und Schule

Zuerst einmal bitte ich euch um Entschuldigung für den erneut zu späten Eintrag und kündige für die nächste Woche eine weitere Verspätung an, die auf Grund meiner Reise an den Amazonas leider nicht zu vermeiden ist. Ich hoffe, den ersten Eintrag über den Aufenthalt im Regenwald - vom Dienstag bis zum Samstag - am Sonntag schreiben zu können, kann euch dies jedoch nicht versprechen. Damit ihr auch nächste Woche motiviert seid, wieder hereinzuschauen, schmeiße ich schon mal die Stichwörter "Affe" und "rosafarbener Flussdelfin" in den Raum. Doch genug von der nächsten Woche geredet - heute soll es schließlich um etwas anderes gehen, wie die Überschrift bereits verkündet.



 Am Freitagabend war ich mit meiner Gastfamilie in einem Salsa-Zirkus namens "delirio" ("Delirium"), da meine Gastmutter Maria Nelly kurzfristig Karten bekommen hatte. Salsa ("Soße") ist so etwas wie der kolumbianische Nationaltanz und in jeder Disko wird neben Electrónica, das der deutschen Partymusik ähnelt, Salsa, Merengue und Reggaetón gespielt. So versuche ich mich auch fast jedes Wochenende an diesen Tänzen und es wird von Woche zu Woche besser. An dieser Stelle möchte ich meiner ehemaligen Tanzschule Ring 3 danken, denn die Grundschritte und -drehungen sind in allen Tänzen irgendwie gleich. Die Kolumbianer lernen Salsa tanzen anscheinend mit der Muttermilch und haben den Hüftschwung im Blut - der will bei mir immer noch nicht so recht klappen.



Während der Vorstellung wechselten sich Tanzvorführungen mit artistischen Einheiten in der Luft ab, unterbrochen von kurzen Pausen, die das Publikum zum Tanzen nutzen konnte. Währenddessen wurde Aguardiente und Rum serviert, begleitet von kleinen gefüllten Teigtaschen, sogenannten Empanadas, die man mit Zitronensaft betröpfelt.



Das ganze Zelt tanzt!

Nachdem ich die Tanzchancen mit einer Freundin und meiner Gastmutter ausgiebig genutzt hatte, konnte man sogar am Ende mit den Tänzerinnen der Show tanzen und das war eine echt tolle Erfahrung - wenn ein Tanzpartner Ahnung von der Materie hat und führt (in dem Falle sie), macht es total viel Spaß. Ich werde sicherlich weiterüben.

Desweiteren war ich neulich mit einer Freundin auf dem "Cerro de las tres cruces" (Hügel der drei Kreuze).



Er ist ein Teil der Bergkette, die Cali vom Westen her begrenzt. Der Aufstieg dauert etwa eine Stunde und geht wortwörtlich über Stock und Stein, da es keinen befestigten Weg gibt. Die Hitze erschwert die Wanderung natürlich noch um einiges und so waren wir sehr erschöpft, als wir endlich den Gipfel erreicht hatten. Von dort aus hat man jedoch einen tollen Blick über die Stadt ...



... und die Luft hat eine ganz andere Qualität - man beachte die Dunstglocke im folgenden Bild.



Hierzu muss man erwähnen, dass die Abgase der Autos und Busse die Luft verpesten und einen unglaublichen Smog erzeugen. Von Feinstaubfiltern hat man hier noch nie etwas gehört und so denkt man manchmal, es ziehe eine dunkle Regenwolke auf, bevor man realisiert, dass es nur die Abgase eines besonders schlimmen Luftverschmutzers sind. Hierzu kann ich euch noch diesen Artikel von Jan aus Asunción in Paraguay ans Herz legen, der das öffentliche Bussystem seiner Stadt beschreibt und dabei auch auf die Abgase eingeht.
Wie dem auch sei, hier in Cali zieht nachmittags immer ein laues Lüftchen auf - genauer gesagt, ein ziemlich starker Wind, nach dem man die Uhr stellen kann. Jeden Tag um 16.30 Uhr geht der Sturm los und dann darf man sein Handy nicht auf die Fensterbank legen, wenn das Fenster geöffnet ist, sonst kann man es in Einzelteilen vom Fußboden aufsammeln. (Ja, das ist mir schon passiert. Das Handy geht aber noch.) Der Wind weht also den Smog hinunter ins Tal in den Osten. Und wer wohnt da? Richtig, die Armen. Das Leben kann manchmal so zynisch sein.



Beim Abstieg war es schon ein bisschen später geworden und so sahen wir die Lichter der Stadt, als wir im Dunkeln versuchten, nicht über die Steine zu stolpern.



Der Weg führt jedoch direkt hier vorbei, an den "invasiones" ("Slums" oder "informelle Siedlungen", wie ich bei Frau Hoffmann in Geographie gelernt habe), und demnach sollte man dort nicht bei Dunkelheit unterwegs sein. Ich hatte mich schon vorbeugend mit einem Stein bewaffnet, doch uns ist nichts passiert. Das soll jetzt nicht so klingen, als seien Überfälle hier die Regel, aber es ist deutlich wahrscheinlicher als in Deutschland, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein - doch darüber habe ich ja letzte Woche schon berichtet.
Gestern war ich dann zum ersten Mal in meinem Leben bei einem Stierkampf. Die sogenannten "corridas" ("Läufe") sind traditionell Teil jeder "feria", der Partywoche in Cali zwischen Weihnachten und Neujahr, und bereits im November werden die Leute mit kleinen Stieren und jungen Toreros auf die richtigen Kämpfe eingestimmt. Diese sind sehr beliebt und die Karten kosten zwischen 7 und 70 Euro - die teuersten Fußballkarten, die es gibt, kosten hingegen nur 15 Euro - und die besten Toreros verdienen in einer Woche bis zu 150.000 Euro!
Der Bericht über den Stierkampf erfolgt über die folgenden Videos - also Lautsprecher aufdrehen und vielleicht Kopfhörer anschließen, um den Kommentar zu hören!



Doch es wurde spannender.



6 Bullen werden in jedem Stierkampf getötet, und jeder Torero ist für zwei Bullen zuständig. Es gibt also drei professionelle Toreros pro Stierkampf.



Manche Toreros sind noch sehr jung - wie alt mag der Junge auf dem folgenden Bild wohl sein?



Ich würde schätzen, 14 oder 15 Jahre alt.



Die Stierkämpfe sind nicht ungefährlich, denn die Toreros sind auf engstem Raum mit den Stieren.



 Manchmal geschehen dann auch Unfälle ...



... obwohl laut meinem Gastbruder bisher noch kein Torero in Cali bei seiner Arbeit gestorben ist. Hoffen wir mal, dass das so bleibt.



Auf dem Bild wird der Stier mit dem Karren abtransportiert.



Anschließend wird das tote Tier zerlegt und das Fleisch verkauft. Man beachte auf diesem Bild die Plastikflaschen in der Arena, die das Publikum geworfen hat als Ausdruck des Unmutes darüber, dass die Tötung sehr lange gedauert hat. Das Tier leiden sehen wollen die Kolumbianer nämlich auch nicht. Ihr könnt das Bild mit einem Klick als neue Seite anzeigen lassen, sodass es größer ist.
In der Schule war ich die Untätigkeit leid und habe mir nach der dritten - und hoffentlich letzten - Komplettänderung der Stundenpläne alle Lehrer nach den Zeiten ihrer Englischklassen gefragt. Daraufhin habe ich mir meinen eigenen Stundenplan gebastelt - zwar noch nicht ganz fertig, aber ich werde genau wie die Lehrer 22 Stunden wöchentlich arbeiten. Hier gibt es ein Lob an Frau Ehlers und Herrn Mende vom Gymnasium Ohmoor, die immer dafür gesorgt haben, dass zum Schuljahresbeginn die Stundenpläne fertig organisiert waren - und nicht fünf Wochen später! Doch ich arbeite nur noch diesen Montag, bevor ich zum Amazonas fahre, und dann geht es auch schon in die Weihnachtsferien, die bis zum 17. Januar gehen. Dann geht es aber endlich los in der Schule und mit meinem Sprachkurs. Brauche ich den denn eigentlich noch? Ja, für Redewendungen und zur Verbesserung meines Wortschatzes. Unterhaltungen klappen mittlerweile ziemlich gut.
Zum Abschluss gibt's mal wieder eine ...



... und zwar nach Deutschland an die Deutsche Bank, die nach dem Ablauf meiner Geldanlage mir die Zinsen nicht auszahlte, wie ich auf meinem Kontoauszug bemerkte. Doch weder wurde ich über die Probleme informiert, noch meldete sich meine Kundenbetreuerin per Mail, wie ich es mit einem Anruf erbeten hatte. Nach unzähligen Telefonaten und Mails konnte ich herausfinden, dass wegen eines Problems in der Steuerabrechnung die Zinszahlung nicht getätigt wurde. Solch Probleme und, viel schlimmer, solch einen Kundenservice, würde ich vielleicht von einer Wald-und-Wiesenbank erwarten, aber doch nicht von der Deutschen Bank. Doch dank meiner neu erworbenen Frustrationstoleranz kann ich mittlerweile mit einem Lächeln darüber hinwegsehen. In diesem Sinne: "¡Alemania es pasión!" ("Deutschland ist Leiden(schaft)!")
Eine letzte Bitte: da es letzte Woche unterschiedliche Meinungen über meinen Eintrag gab und ich endlich einmal ein paar Kommentare erhielt - an dieser Stelle entschuldige der Autor des "Nazi"-Kommentars bitte die Löschung - ergab sich aus anderem Grunde hier eine Diskussion, die jedoch schließlich dazu führte, dass eine Leserin, die ebenfalls momentan mit "weltwärts" in Cali ist, meinen Bericht über die negativen Aspekte Kolumbiens als unsozial ansah. Wer mag, liest sich einmal meine Antwort darauf durch, die hoffentlich das, was ich sagen wollte, noch einmal ausführlicher und in verbesserter Form darlegt. Kommentare sind wie immer erwünscht.

Euer Lars

Montag, 23. November 2009

El campeón mundial en exportes - y por qué lo somos

Der Exportweltmeister - und warum wir es sind

Es hat mal wieder einen Tag länger gedauert, aber an der Schwäche "Unpünktlichkeit" kann ich hier in Kolumbien beim besten Willen kaum arbeiten. Mit Blick auf die Einstellungstests zum Piloten bei der Lufthansa bin ich jedoch dabei, mein Leben zu reflektieren und mich mit meinen Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen. Ich habe zwar begonnen, in der Schule zu arbeiten, aber 2 bis 3 Stunden Unterricht täglich lasten mich immer noch nicht aus - so habe ich genug Zeit zur Analyse meines bisherigen Lebens und zum Überlegen, was ich denn nun in der Zukunft wirklich machen möchte. So viel steht schon mal fest: kein Lehrer in Kolumbien!
Aber genug davon. Heute wende ich mich einmal dem Deutschlandbild in der großen weiten Welt zu. Während ich während meines Aufenthaltes in Amer... äh, in den USA - Amerika ist ein Kontinent, das lernt man hier sofort, wenn man es nur einmal als Synonym für die Vereinigten Staaten benutzt - war, merkte ich, dass dort ein Bild von Deutschland kaum existiert, genauso wenig wie eines von Europa. Hitler, Bier, Oktoberfest und Autobahnen waren vier Schlagworte, die so ziemlich das beschreiben, was sich Amer... äh, US-Amerikaner unter Deutschland vorstellen.
Hier in Kolumbien sind die Autobahnen gänzlich unbekannt, dafür die Fahrzeuge, die auf ihnen fahren, umso mehr. Mercedes, Audi, BMW, Porsche - sie alle bedeuten für die Kolumbianer Luxus. Daher sieht man sie auch kaum auf den Straßen hier ...



... obwohl zumindest die MIO-Busse zum Teil vom dreizackigen Stern geliefert wurden.



Im Vergleich dazu sieht so ein - zugegeben verdammt schlechter - öffentlicher Bus aus.

Den weitaus größten Anteil der deutschen Autos machen hier einige "Colwagen" oder "Autowagen" auf den Straßen aus - VWs, mit dem Schriftzug des Importeurs versehen. Doch die Kolumbianer fahren, auch wenn sie es sich leisten können, prinzipiell keine teuren Autos, was an der Gewalt hier im Lande liegt. Ich möchte euch keinen Schrecken einjagen, denn ich gehe immer noch ohne Angst über die Straße und traue mich, um 23 Uhr von der Bushaltestelle die zwei Blocks zu meinem Haus zu laufen.
Doch dass vor einer Woche vor unserem Haus nachts ein Auto "abgezogen" wurde - der Fahrer wurde von zwei Männern auf einem Motorrad mit einer Pistole bedroht und ihm wurde sein Auto gestohlen - fand ich doch höchst Angst erregend. Zwei Tage später passierte dann das Gleiche noch einmal, diesmal mit dem Auto meiner Gasttante um 8 Uhr abends vor ihrem Haus. Ich habe nach der übertriebenen Angstphase, die auf den Empfehlungen der Vorbereitungsseminare beruhte, und der totalen Entspannung, die sich nach meiner Ankunft einstellte, wieder ein bisschen mehr Respekt vor der Situation hier.
So hätte ich euch noch vor zwei Wochen geschrieben, dass man hier zwar ärmste Leute im Viertel sieht - vom Laufband im Fitnessstudio sah ich eine Frau den Müll nach Essensresten durchwühlen - doch die Diebe hielten sich woanders auf. Diese Aussage revidiere ich nun und ziehe daraus auch meine Schlüsse - zum Beispiel gehe ich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr durch eine unbeleuchtete Straße ohne Geschäfte von der Bushaltestelle zu meinem Haus, sondern fahre lieber eine Station weiter und mache einen kleinen Umweg, an dem sich jedoch alle 10 Meter ein Restaurant oder eine Bar befindet.
Von den etwa 20 Jugendlichen, die mit mir und AFS nach Südamerika gefahren sind, wurden nach meiner Zählung bereits 8 ausgeraubt. Man kann es nicht verhindern, wenn man wie ich das Land kennen lernen will, aber man kann das Risiko minimieren. Wenn es dann doch passiert, ist es halt Pech - zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Hoffen wir mal, dass dies nie die Überschrift eines meiner Blogeinträge sein muss.
Da hier also beispielsweise Autos abhanden kommen, werden neue aus Deutschland importiert, was den Export ankurbelt, so könnte man denken. Doch das ist nicht der eigentliche Grund für die Exportweltmeisterschaft meines Landes. Es ist schlicht und einfach die Qualität. So besitzt meine Schule noch nicht einmal einen Kopierer - dafür gibt es Läden, bei denen eine Kopie 50 Pesos, also knapp 2 Cent kostet.



Doch wieso kauft sie Edding-Stifte für die Tafeln aus Ahrensburg bei Hamburg?



Wieso sind die Sitze der Busfahrer in den MIO-Bussen von ISRI (Isringhausen) aus Lemgo bei Bielefeld?



Wieso sind die Läden voll mit Nivea-Produkten aus Hamburg?



Wieso wird hier mit tesa-Film aus Hamburg geklebt?

Wieso tragen die Leute Schuhe von Adidas oder Puma aus Herzogenaurach bei Nürnberg? Weil es gute Qualität ist, und das honorieren die Kolumbianer - obgleich ein China-Pendant sicherlich um die Hälfte billiger wäre. Doch während sie sich der deutschen Herkunft meist nicht bewusst sind und ich sie dann stolz darauf hinweise, dass dieses Klebeband aus meiner Heimatstadt komme, hören sie doch viel über die Geschehnisse in Deutschland und teilen mir dies auch mit.
So wurde ich am 28. September mit der Information begrüßt, dass Angela Merkel die Wahl gewonnen habe, und am 9. November wurde ich ausgiebig über den Mauerfall befragt. Robert Enke ist spätestens seit seinem Tod auch hier ein Begriff, während Miroslav Klose, Lukas Podolski und Michael Ballack das auch jetzt schon sind - bei den ersten beiden ist sogar die polnische Herkunft bekannt.
Im Gegensatz zu den USA wirkt hier natürlich der Fußball als großer Verbindungsfaktor und es vergeht keine Woche im Fitnessstudio ohne ein Gespräch über den deutschen Fußball, obwohl der HSV hier leider unbekannt ist. Bayern München ist hingegen jedem Mann ein Begriff, und wenigstens kennen die meisten Leute Zé Roberto. Die Faszination für Fußball ist hier ungleich fanatischer als in Deutschland und jedes Tor wird bejubelt wie der Gewinn der Meisterschaft, auch wenn es nur das Ehrentor zum 1:4 ist. Es wäre sicherlich toll gewesen, Kolumbien bei der WM 2010 in Südafrika zu sehen, aber dafür hat es ja leider nicht gereicht.
Was ist das Ziel des heutigen Blogeintrags, mögt ihr euch fragen - erzählt uns der gute Lars ein paar Geschichten aus Kolumbien, ohne zum Punkt zu kommen? Natürlich nicht. Ich lerne hier viel mehr über mein Heimatland und sein Bild in der Welt, als ich dies in Deutschland je könnte. Ich kann mein Land mit anderen Ländern vergleichen, es objektiv darstellen und positive Dinge der kolumbianischen Kultur nach Deutschland mitbringen. Ich merke, wie schwierig die deutsche Sprache ist und bin mir bewusst, was eine Muttersprache ausmacht - das Recht, Fehler zu machen oder Wörter zu erfinden. Als Beispiel mag hier der folgende Satz gelten: "Das ist das Beste, wo gibt." Grammatikalisch ein Desaster, und dennoch weiß jeder Hörer, dass der Autor ohne jeden Zweifel Deutscher ist.
Und zu guter Letzt: Ich bin stolz auf Deutschland. Stolz auf die Sicherheit auf den Straßen. Stolz auf das Bild, was wir nun schon seit 64 Jahren der Welt vermitteln wollen und endlich ankommt.

Stolz auf Bushaltestellen, bei denen die Linienanzeiger nicht mit Papier auf Pappe geklebt werden - ...



... wahrscheinlich mit einem Pritt-Stift - und sich nach zwei Tagen wellen.

Stolz auf die Organisation. Stolz auf Schwarzbrot.



Stolz darauf, dass solche Hinweisschilder nicht notwendig sind.

Und was ich euch mit auf den Weg geben möchte: genauso stolz könnt ihr auch sein.

Euer Lars

Sonntag, 15. November 2009

Un fin de semana loquísimo. Parte Dos

Ein total verrücktes Wochenende. Teil Zwei

Wie ich letzte Woche schon berichtet habe, war ich am Río San Cipriano und Álvaro wurde von einer recht kleinen Schlange gebissen. (Wer war das nochmal? Hier könnt ihr mehr darüber lesen.)
Unseren Führer Jason schien das nicht das Mindeste zu stören, und so mussten wir zwei zufällig des Weges kommende Führer fragen, was dies für eine Schlange war. So fanden wir heraus, dass Álvaro soeben von der gefährlichsten Schlange, einer sogenannten "X", des dortigen Regenwalds gebissen worden war, und sofort ins Krankenhaus müsse! So nahm mein Freund Stefan, der in Cali als Doktorand arbeitet, seinen Mitbewohner Álvaro auf den Rücken und rannte los, sodass ich mit meinen Flip-Flops nicht hinterher kam. Die kolumbianischen Führer hatten sich übrigens schon aus dem Staub gemacht.
Für uns ging es also erst einmal weiter zu den Wasserfällen, wie man im folgenden Video sieht. Der Kommentar ist meiner Meinung nach ganz interessant: also Ton aufdrehen oder Kopfhörer anschließen!



Als wir nach der anderthalbstündigen Wanderung endlich ankamen, waren wir uns einig, dass sich jeder Meter gelohnt hatte. Wir standen vor einem zwanzig Meter hohen Wasserfall, unter dem man baden konnte.



Der Wasserfall liegt mitten im Dschungel



Ein Blick von oben auf den Wasserfall

Wegen der Abgelegenheit waren nur zehn weitere Leute neben uns dort und wir entspannten uns im kristallklaren Wasser, das man nach Aussage der Kolumbianer auch trinken konnte, von der langen Wanderung.



Ein weiterer, kleinerer Wasserfall

Als es wieder zurück ging, ging einer meiner Flip-Flops kaputt, sodass ich den Rückweg durch den Dschungel, über den lehmigen Matschboden und die spitzen Steine, mit der stetigen Angst vor weiteren Schlangen, barfuß zurücklegen musste. Zum Glück hatten diese vom Schicksal ihrer Artgenossin gelernt, die mit einem Ast von den kolumbianischen Führern tot - oder zumindest bewusstlos geschlagen wurde, und ließen sich nicht mehr blicken.



Unsere dezimierte Gruppe

Bekannt ist euch vielleicht Johannes, der mit mir und AFS nach Cali gekommen ist und im Zoo arbeitet, als zweiter von links. Ein Freund geworden ist Dave, zweiter von rechts im Trikot des Vereins seiner Heimatstadt: Manchester United.
Um 15 Uhr wieder heil und gesund im Dorf angekommen, entschlossen wir "caleños" ("Calianer") aus ganz Europa und aus Kolumbien uns dazu, zunächst etwas zu essen, und dann in aufblasbaren Reifen den Fluss herunterzufahren. Eigentlich wollten wir um diese Uhrzeit schon nach Cali zurückfahren, doch Stefan und Álvaro hatten ihr ganzes Geld ins Krankenhaus von Buenaventura mitgenommen, falls sie dort für ein Gegengift eine Anzahlung in bar leisten müssten. So mussten wir drei verbleibenden - Johannes, Leonie und ich - die Rechnung für das Hotel und das noch nicht gezahlte Essen begleichen und standen anschließend komplett ohne Geld da.
In diesem Moment kam die Erinnerung an Philipp Heintze, der Koordinator für Südamerika bei meiner Organisation AFS, beim Vorbereitungsseminar wieder:

"Ich bin zweimal im Ausland ohne Geld gestrandet - und nichts ist schlimmer. Habt immer genug Geld dabei!"

Damals noch belächelt, weiß ich jetzt, wie Recht der Mann hat - obwohl wir nichts dafür konnten. Somit hängten wir uns an die anderen sechs "caleños" an, die uns das Geld für den Bus auslegen konnten, jedoch erst um 17 Uhr nach Cali zurückfahren wollten.



Eine waschechte Urwaldbewohnerin

Nachdem wir eine Stunde auf unser Essen warten mussten und dabei die Portionen gesehen hatten, waren wir ziemlich erstaunt, als wir jeder etwa die Hälfte einer normalen Portion serviert bekamen. Zunächst meinte die Köchin noch, dies sei die normale Portionsgröße, doch später gaben sie zu, sie hätten nicht mehr Essen gehabt. So bekam jeder ein jämmerliches Stück Fisch und ein Häufchen Reis - angeblich mit Kokos, tatsächlich ohne, dafür angebrannt.
Daraufhin kürzten wir eigenhändig den Preis auf 3000 Pesos, also einen Euro, pro Person, und überraschenderweise gab es dagegen noch nicht einmal Proteste der Besitzerin. Sie hatte anscheinend selber gemerkt, wie peinlich und beschämend ihre Aktion gewesen war, besser mit dem vorhandenen Essen ein bisschen Geld zu verdienen, anstatt mehr Essen zu kaufen oder einfach zuzugeben, dass sie nicht genug habe.
Wer mich kennt, weiß, dass ich keinen Spaß verstehe, wenn es um Essen geht. Somit wirft dieses Ereignis einen tiefschwarzen Schatten auf mein Bild von Kolumbien, das ansonsten von vielen tollen Erlebnissen geprägt ist. Besonders für Ausländer - und das gilt für alle Länder, auch für euch in Deutschland!- sollte der Service immer ausgezeichnet sein, so etwas kann sonst schnell zu einem negativen Bild führen, was ich an mir selber merke. Das Verhalten dieser Frau hat daher noch nicht einmal eine Passionsfrucht der Woche verdient - daher gibt's gar keine diese Woche.
Nicht gesättigt und leicht verärgert stiegen wir also in die aufblasbaren Reifen und das Ganze war im Nu vergessen, als wir die Stromschnellen herunterrutschten - wie im Piscilago in Girardot (wer nicht mehr weiß, was das war, Tag 10 - Samstag, 26. September), nur in der Natur. Dafür war es auch kälter und ich war daher recht glücklich, wieder im Dorf anzukommen, da es mittlerweile schon nach sechs Uhr war.



Ein Blick durch das grüne Dickicht in den Himmel

Bis wir dann loskamen und mit den Draisinen durch den mittlerweile dunklen Urwald an die Straße kamen, fuhren keine Busse mehr nach Cali. So entschieden sich die Kolumbianer, in die nächstgrößere Stadt Buenaventura, dem größten Pazifikhafen Südamerikas, zu fahren.
Auf der Fahrt kamen wir in eine Militärkontrolle, die nach dem Angriff der Guerilla stark ausgebaut worden waren. Nach einem kurzen Aufenthalt und einer oberflächlichen Untersuchung der Rucksäcke - durch 18-jährige Wehrdienstleistende mit Maschinengewehren - ging es jedoch schnell weiter. Die Guerilla bezeichnen wir Deutschen unter uns übrigens als "Waldbande", damit die Kolumbianer nicht verstehen, wovon wir reden. Andere Ersatzausdrücke sind "Schnee" für Kokain und "der Mann mit dem goldenen Klo" für Pablo Escobar. Es geht einfach darum, dass man sich auch über solche Themen unterhalten will, aber die Kolumbianer dann nur die Schlagwörter verstehen würden und so denken könnten, wir reden nur Schlechtes über ihr Land.
In Buenaventura angekommen, erinnerte ich mich an den Artikel der Uni Kassel, der es als die "gefährlichste Stadt Kolumbiens" bezeichnet. Auch in Cali wird Buenaventura als gefährliche und hässliche Stadt angesehen. Kurz und gut: Kein Ort, an dem man um 21 Uhr am Busterminal stehen möchte! Aber wir konnten ja nicht anders.
Nach einer Weile hatten wir uns dann mit einem Kleinbusfahrer auf einen Preis von 10.000 Pesos, etwa 3,50 Euro, pro Person geeinigt, und er nahm uns 9 an Bord. Wieder einmal eine atemberaubende Fahrt, bei der beide Fahrspuren der Landstraße gleichwertig genutzt wurden und unser Fahrer in engen Rechtskurven regelmäßig LKWs überholte! Doch ich habe mich bereits daran gewöhnt - es bleibt einem auch nichts anderes übrig - und konnte deshalb gut im Bus schlafen, bis wir abends um 23 Uhr in Cali eintrafen.
Dort musste ich meinem Gastvater Javier erst einmal die ganze Geschichte erklären, denn er war zu Recht verärgert. Ich glaube, ich habe an diesem Wochenende eine ganze Menge gelernt - dass das Leben nicht immer wie geplant verläuft, dass ich die Hinweise meines Gastvaters etwas ernster nehmen sollte und dass die Kolumbianer auch nicht immer wissen, wann der letzte Bus fährt.

Der Abspann der Geschichte:

Álvaro blieb drei Tage in Buenaventura im Krankenhaus und erholt sich bei seiner Familie in Bogotá. Wäre er zwei Stunden später ins Krankenhaus gekommen, wäre er wohl gestorben. Sein Zeh hat eine lustige Farbe und ist angeschwollen, aber muss nicht amputiert werden. Ihm geht es soweit gut.
Ich habe mir in San Cipriano eine dicke Erkältung eingefangen und hatte die Woche darauf 39°C Fieber. Nach einem Besuch beim Arzt geht es mir aber wieder gut.
Für den Amazonas und die Karibik werde ich mir festes Schuhwerk in Form von Strandschuhen kaufen.

Mit der Bitte um Kommentare, Amazon-Käufe oder Expedia-Buchungen wünsche ich euch eine tolle Woche,

euer Lars

Sonntag, 8. November 2009

Un fin de semana loquísimo. Parte Uno

Ein total verrücktes Wochenende. Teil Eins

Wenn man in Deutschland als Jugendlicher von seinem "heftigsten Wochenende überhaupt" berichtet, beinhaltet das meistens eine Aufzählung, wie viele Flaschen von welchem Alkohol man in welcher Zeit geleert hat - und was für Aktionen am Ende dabei herauskamen.
Der geneigte Leser mag sich noch an die Ankündigung letzte Woche erinnern, ich würde an den Río San Cipriano fahren, um dort ein entspanntes Wochenende zu verbringen. Doch entspannt war es nur teilweise - vielmehr war es das heftigste Wochenende, das ich bisher erlebt habe. Ich versuche einmal, dieses Wochenende auch für mich zu rekapitulieren, und fange deshalb zwei Wochen früher an.
Ich bekam einen Brief von "4-72", das Unternehmen, das für internationale Post zuständig ist, dass ich ein Paket aus Deutschland erhalten hätte und dieses gegen eine Zahlung von ca. 25% Einfuhrzoll, in meinem Falle etwa 12 Euro, abholen könne. Also fuhr ich mit meinem Gastvater Javier zur Paket-Abholstelle und stand dort erst einmal vor verschlossenen Türen, denn das Büro hatte schon zu.
Zufälligerweise traf ich dort zu jenem Zeitpunkt auf einen anderen Deutschen namens Stefan, der bis Dezember hier in Cali ist und im April dann wiederkommt. Stefan wohnt so wie ich im Viertel San Fernando und arbeitet als Ökonomie-Doktorand im CIAD, einem Forschungszentrum für die Landwirtschaft in der Nähe von Cali. Wir tauschten also unsere Handynummern aus und er fragte mich spontan, ob ich Lust hätte, am nächsten Wochenende zum Río San Cipriano mitzukommen, da er mit seinen Freunden diesen Ausflug geplant hatte.


Der Río San Cipriano

Natürlich wollte ich, doch Javier war etwas skeptisch, da es auf der Straße von Cali nach Buenaventura immer wieder Guerilla-Überfälle gegeben hatte, das letzte Mal vor einem Monat. Nachdem sich jedoch Stefans kolumbianischer Mitbewohner Álvaro meinem Gastvater vorgestellt hatte und ihm erzählte, er sei schon öfters dort gewesen, gab es gar kein Problem mehr. Neben Stefan, Álvaro und mir kamen noch Johannes, der mit AFS und mir nach Cali gekommen ist und im Zoo arbeitet, sowie Leonie, eine andere deutsche "weltwärts"-Freiwillige, mit.
Am Sonntagmorgen trafen wir uns also um 7 Uhr und nahmen ein Taxi zu der Straße, auf der die Busse nach Buenaventura fahren. Für den Spottpreis von 7000 Pesos pro Person, etwa 2,50 Euro, stiegen wir ein und ich hatte das Pech, zwischen einem Stehplatz und einem halben Sitzplatz wählen zu müssen, da die Frau neben mir nach scheinbar jahrelangem übermäßigem Verzehr von Butterstücken und Zuckerwürfeln, gewendet in Bratfett, locker mehr als anderthalb Sitzplätze beanspruchte. Nach zwei Stunden Kampf, in denen ich Zentimeter für Zentimeter erobern konnte, stiegen wir endlich aus und die Frau hatte die Sitzplätze wieder für sich allein.
Von der Landstraße aus ging es dann den Berg herunter an ein kleines Dorf mit Bahnhof, wenn man ihn so nennen will.


Der "Bahnhof"

Was zuerst auffällt, ist der schwarze Bevölkerungsanteil, der gefühlt 110% beträgt. Man ist also als Weißer wie auf dem Präsentierteller. Nach kurzer Wartezeit ging es dann mit weiter nach San Cipriano.


Die Motorrad-Draisinen, mit denen man fährt, begegnen auf der eingleisigen Strecke oft Gegenverkehr.



Die wilde Fahrt - Colossos lässt grüßen - ging mitten durch den Dschungel auf Gleisen, die irgendwer irgendwann mal gebaut hatte.


Nach einer halben Stunde kamen wir dann in San Cipriano, mitten im Regenwald gelegen, an.


Der dazugehörige "Río" ("Fluss") ist wunderschön und in den schwülen 35°C eine tolle Abkühlung. Das kristallklare Wasser sowie verschiedene Klippen und hoch gelegene Bäume laden aus bis zu 10 Metern Höhe zum Sprung in den Fluss ein. An diesen Stellen ist der Fluss auch tief genug, während andernorts die Wassertiefe nur etwa 30 Zentimeter beträgt. Leider besteht das Flussbett und der Strand nicht aus Sand, sondern aus Steinen. Das Liegen und Fortbewegen tut also ziemlich weh  - wenn ihr könnt, fahrt also erst in ein paar Milliarden Jahren dahin, wenn die Steine zu Sand geschliffen worden sind.


Der Strand

Wir verbrachten den ersten Tag auf einer kleinen Halbinsel, die natürlich auch aus Stein bestand, im Unterschied zum Strand aber nur aus einem großen und nicht aus vielen kleineren. Nur durch eine fünfminütige Wanderung durch den Fluss zu erreichen - auf den glitschigen Steinen mit Handys und Digitalkameras im Gepäck kein ganz leichtes Unterfangen - hatten wir unsere Insel und die sich anschließende Lagune für uns alleine.
Dummerweise hatte Leonie sich entschieden, statt wie wir den Wanderweg flussaufwärts zu wandern, um eine schöne Stelle zu finden, uns ihre Sachen zu geben und zu einem nahe gelegenen Strand zu schwimmen, zu dem wir dann auch kommen sollten. Da zu ihrem Strand jedoch kein Weg führte, waren wir viel weiter flussaufwärts als sie. So machten Álvaro und ich uns auf den Weg durch den Fluss, um sie abzuholen. Hatte ich schon die Stromschnellen erwähnt?


Nach vielen blauen Flecken, aber auch viel Spaß, erreichten wir schließlich ihren Strand und machten uns auf den Weg flussaufwärts - wieder durch den Fluss, wieder durch die Stromschnellen, diesmal jedoch gegen die Strömung!
Wir krochen also über die Steine, denn anders kam man nicht voran, und meine ehemals helle Badehose war doch recht dunkel gefärbt, als wir unsere Insel erreichten. Erschöpft schlief ich auf dieser ein und holte mir dadurch einen Sonnenbrand auf dem Rücken, der sich jetzt nach einer Woche endlich beruhigt hat. Spaß gemacht hat es trotzdem.


Unser Hotelzimmer

Abends probierten wir Arrechón, abgeleitet von "arrecho" ("feurig"), ein alkoholisches Getränk, das die Bewohner von San Cipriano anscheinend selbst brauen. Es ist gelb-bräunlich, milchig-trüb und enthält viele Gewürze, sodass Johannes und ich uns einig waren, dass es "nach Weihnachten" schmecke. Desweiteren trafen wir auf viele andere Europäer, die in Cali wohnen und das verlängerte Wochenende für einen Ausflug an den Río San Cipriano nutzten. So entschlossen wir uns, am nächsten Tag gemeinsam mit ihnen einen Ausflug zu den Wasserfällen zu machen, die angeblich nur eine halbe Stunde vom Dorf entfernt seien  - und damit begann das ganze Chaos.


Unser Frühstück: Rührei, Reis und ein "Arepa" (Maisfladen)

Wir trafen uns also am nächsten Morgen in Flip-Flops und suchten uns einen Jugendlichen, Jason, für 20.000 Pesos, etwa 7 Euro, als Guide. Jason redete nicht viel und so wies er uns auch nicht darauf hin, dass er uns nicht zu den nahen Wasserfällen führen würde, sondern zu einem anderthalb Stunden entfernten Ort. Doch nicht die Zeit war das Problem, sondern der Weg - der führte uns nämlich auf einem Trampelpfad direkt durch den Regenwald. So waren die Flip-Flops natürlich ungeeignet, aber als wir dies bemerkten, war es schon zu spät.


Man beachte das Schuhwerk! Tipp: draufklicken, dann wird das Bild größer.

Kurz darauf meinte Álvaro, er sei von etwas gestochen worden. Wenige Sekunden später konnte man ihm seinen Schmerz ansehen und er begann fast, zu weinen. Wir suchten nach der Ursache und fanden als Ursache eine etwa 30 Zentimeter lange Schlange.


Werbepause, nächste Woche geht's weiter. Auf jeden Fall die Auszeichnung "loquísimo" wert! Und wo wir gerade beim Thema Werbung sind: zu klicken braucht ihr nicht mehr, die Werbung habe ich auf Grund seltsamer Anzeigen entfernt. Dafür habe ich jetzt aber Amazon- und Expedia-Anzeigen, sodass ihr praktisch über meine Webseite einkaufen oder eure Reisen - nach Kolumbien? - buchen könnt. Bei Fragen schickt mir bitte eine Mail. Und noch etwas: Schreibt mir gerne mal einen Kommentar, oder auch mehrere - ich bin hier manchmal total frustriert, wenn ich mich drei Stunden für euch an den Computer setze und dann überhaupt keine Rückmeldung kommt.
Das Wochenende war übrigens auch gleichzeitig Halloween, was hier noch viel ausgeprägter als in Deutschland gefeiert wird. Allerorts gibt es Verkleidungs-Feiern und durch die Straßen fahren Paraden, wie die im folgenden Video. Cool finde ich den Fred-Feuerstein-Wagen, ab 0:09 zu sehen.


Fertig? Nein, eine Sache fehlt noch! Die ...


... geht heute an das Internet hier. Ich hatte den Eintrag in der Nacht von Samstag auf Sonntag fast fertig gestellt und musste nur noch die Videos hochladen, als plötzlich nichts mehr ging - und sich auch nicht beheben ließ. So ging ich leicht angesäuert ins Bett, denn ich schlage mir doch nicht die Nacht um die Ohren, damit der Eintrag am Ende doch erst am Montag bei euch erscheint.

Euer Lars

Sonntag, 1. November 2009

¡Una botella de cerveza, por favor!

Eine Flasche Bier, bitte!

Diesen unglaublich wertvollen und in Deutschland auch so wichtigen Satz habe ich niemand Geringerem als dem Bürgermeister von Cali beigebracht. Vor zwei Wochen ist meine Gastmutter ja nach Europa gereist - erste Klasse, bezahlt von Comfandi, dem sozialen Vorzeigeunternehmen des "Valle del Cauca" ("Cauca-Tal", in diesem liegt unter anderem auch Cali) - und neben ihr, ihrem Arbeitskollegen John und dem Chef von Comfandi kam auch der Bürgermeister der Stadt, Jorge Iván Ospina, auf Einladung Comfandis mit.
So schüttelte ich ihm natürlich brav die Hand und nach mehreren ausgetauschten Höflichkeitsfloskeln - "¿Cómo estás?", "¿Cómo te fue?" und so weiter, wie hier bereits unter "Tag 3 - Samstag, 19. September" beschrieben - stellte er mir dann auch seine Ehefrau vor, die mit ihrem Kopftuch und ihren Ohrringen eher an einen weiblichen Hippie erinnerte als an die Ehefrau des Bürgermeisters auf Geschäftsreise. Sie kam übrigens auch mit, allerdings nicht bezahlt von Comfandi, sondern vom Bürgermeister.



Der Beweis: Mein Gastvater Javier, der Bürgermeister und ich.

Der Bürgermeister ist bei den Reicheren beliebter als bei den Ärmeren, wie ich feststellen musste. Die Freunde und Familie meiner Gastfamilie waren sehr interessiert, als ich begeistert von meinem Treffen mit dem Bürgermeister berichtete, während meine Freunde aus der Schule der Geschichte reserviert mit einem "No me gusta el alcalde" ("Ich mag den Bürgermeister nicht") reagierten.
Auf jeden Fall suchte ich dann auf dem Flughafen eine Toilette und traf dort den Arbeitskollegen John meiner Gastmutter Maria Nelly traf. Er meinte, ich müsse dem Bürgermeister und ihm doch unbedingt diesen Satz beibringen und nahm mich mit zu einem Schnellimbiss, wo der Bürgermeister gerade einen Hamburger aß. Nach der Deutschstunde - sagen wir, Deutschminute - unterhielt ich mich noch ein wenig mit dem Bürgermeister und er fragte mich, was ich hier in Cali mache, wie mir Cali gefalle und was anders zu Deutschland sei.
Mich erstaunte es selbst, wie flüssig das Gespräch lief und die Leute sind immer wieder überrascht, dass ich erst zwei Monate hier bin. Das Schulspanisch von vor mehr als drei Jahren hat doch Spuren hinterlassen und ich bin auf einer täglichen Schnitzeljagd nach diesen Erinnerungen, während mir ständig neue Hinweise gegeben werden und sich mir neue Wege durch den Dschungel der spanischen Sprache erschließen.
Wer noch die Chance dazu hat, weil er noch zur Schule geht: Lernt so viele Sprachen wie möglich in der Schule! Nirgendwo sind die Sprachkurse so organisiert wie in der Schule und es kostet euch nichts!
Lehrer, die diesen Blog lesen: Leitet meine Worte weiter! Bewerbt kein Latein! Selbst zehn Wörter Französisch oder Spanisch bringen die Schüler weiter im Leben!



Der versprochene Geburtstag: Ich, meine Cousine Valentina, ihre Schwester Daniela sowie meine Gastbrüder Daniel und Sebastian.

Valentina feierte letztes Wochenende ihren "quinceañero" ("15. Geburtstag"), der etwas ganz besonderes im Leben einer jungen Kolumbianerin ist, denn er kennzeichnet den Übergang vom Mädchen zur Frau. Der Gemeinschaftsraum ihrer Wohnanlage war von meiner Gasttante Claudia, ihrer Mutter, wunderschön im Stile von Las Vegas - oder wie Kolumbianer sich das so vorstellen - hergerichtet worden.



Es kamen etwa zwanzig ihrer Freundinnen und Freunde, doch im Vergleich zu anderen Geburtstagsfeiern wurde auf dieser gar nicht getanzt. Darüber waren auch alle anderen Personen, denen ich von der Feier erzählte, sehr verblüfft.



Den Hut und die Krawatte durfte ich behalten!

Zwischenzeitlich kam noch für 20 Minuten eine im mexikanischen Stil auftretende Musikgruppe vorbei, die meine Gastmutter bestellt hatte und wovon keiner wusste.



Nachdem um 23 Uhr, vier Stunden nach unserer Ankunft, endlich das Essen serviert wurde, hatte meine Gasttante Claudia sogar an mich gedacht und brachte mir eine doppelte Portion, denn von dem Standardessen für die 1,70 Meter großen und 55 Kilo schweren Kolumbianer werde ich nicht satt.
Unsere Haushaltshilfe Mari ist immer wieder erstaunt, wie viel ich esse und grinst, wenn ich neben dem Steak, dem Reis und den Bohnen auch noch ein - nein, besser zwei Eier gebraten haben möchte. Ich verstehe mich total gut mit ihr und sie hat sich mittlerweile mehr oder weniger an meine Essgewohnheiten gewöhnt. Sie hat zwei Kinder, die etwa zwei Autostunden entfernt von hier bei ihrer Mutter wohnen, und ist dieses Wochenende wieder zu ihnen gefahren, da einmal wieder "puente" ("Brücke", langes Wochenende) ist. In zwei Wochen übrigens schon wieder. Ich finde es schlimm, wenn Eltern ihre Kinder verlassen müssen, um Geld verdienen zu können. Auf der anderen Seite bekommt Mari durch meine Gasteltern immerhin die Möglichkeit, ihre Familie so oft wie möglich zu sehen.
Vor ihrer Abreise hat sie uns allerdings eine Menge Essen vorgekocht - zu viel für uns, denn ich fahre morgen früh mit einigen Freunden an den Fluss Rio San Cipriano, der zwei Stunden von hier entfernt ist, und komme erst am Montagabend wieder. Darüber wird dann nächste Woche berichtet, und wir kommen zur...



Die sollte diese Woche an etwas ganz anderes gehen, doch die Umstände zwingen mich förmlich dazu, die Passionsfrucht der Woche an meine Schule zu vergeben. Diesen Wanderpokal mit der Bedeutung, dass wieder mal etwas nicht geklappt hat oder mich auf Grund der Kultur total überrascht, verdient die Schule aus zwei Gründen.
So wurde mir erstens mitgeteilt, ich solle am Montag um 8.30 Uhr zur Schule kommen. So traf ich um 8.40 Uhr ein - bringt ja nichts, auf meine Freundinnen warte ich regelmäßig eine Stunde und mehr, obwohl ich schon besagte 10 bis 15 Minuten zu spät komme. Eine Freundin ist da eine Ausnahme, sie musste schon mehrfach auf mich warten und kommt eigentlich immer 10 bis 15 Minuten zu früh. Außer wenn ich pünktlich komme, dann kommt sie frei nach Murphy's Law - das Butterbrot fällt immer auf die beschmierte Seite, der Anruf kommt genau dann, wenn man im Badewasser sitzt, usw. - natürlich zu spät.
Ich traf also mehr oder weniger pünktlich ein und fand niemanden vor, der mir hätte weiterhelfen können. Nachdem ich zwei Stunden gewartet hatte, traf ich die Deutschlehrerin, die mir mitteilte, die Koordinatorin sei in Bogotá für diese Woche. Ich könne also nächste Woche wiederkommen.
Und zweitens fiel dann auch noch am Freitag die Schule komplett aus zur Unterrichtsplanung für die Lehrer, wie mir berichtet wurde! Ich frage mich immer wieder, was die Lehrer denn in den fünf Wochen Präsenzferien - ja, sie mussten jeden Tag da sein - gemacht haben, außer Kaffee getrunken.



Schule? Für mich eher selten!

So gehe ich hier meinen Hobbys nach, das heißt 3 Stunden Sport, 9 Stunden essen und 12 Stunden schlafen - den Schlaf braucht mein Gehirn hier aber auch dringend, da das ständige Spanisch sprechen mein Gehirn herausfordert wie einen Motor Dauer-Vollgas auf der Autobahn. Und natürlich sehe ich meine Freunde und Freundinnen, hole Pakete aus Deutschland ab - dazu ebenfalls nächstes Mal mehr - und genieße mein Leben hier. Ihr in Deutschland zahlt viel Geld dafür, in solchen Klimazonen Urlaub machen zu können, und ich kriege es fast umsonst. Was will ich mehr? Wozu aufregen?
Dabei muss ich sagen, dass es mir mit meiner Gastfamilie, meinem Ort und meiner Lebensweise hier total gut geht - eine Ausnahme unter den weltwärts-Teilnehmern, die ich kenne. Julian in Girardot, Kolumbien, wurde bereits ausgeraubt und hat sehr strenge Gasteltern; Jan in Asunción, Paraguay, hat die Familie gewechselt - wird aber immer noch von seiner alten Gastfamilie schlecht behandelt - und Eric in Bogotá, Kolumbien, erzählt mir auch alle Tage wieder, wie wenig es ihm hier doch gefiele.
Uns alle einte der Wille, ins Ausland zu gehen, doch einige haben mehr Glück, andere mehr Anpassungsbereitschaft, dritte mehr Spaß am Leben - und ich habe momentan alles drei. Hoffen wir, dass es so bleibt, und dass mir auch das Projekt - Dienstag geht es hoffentlich los - Spaß machen wird.

Euer Lars