Dienstag, 24. August 2010

La semana santa

Die Osterwoche

Die ist ja nun auch schon wieder ... äh ... viereinhalb Monate her! Naja, Nachdenken und Erinnern ist ja bekanntlich gut für's Gehirn.


So, damit wäre ja auch schon alles erklärt. Sind wir fertig, oder? Na, ich werde versuchen, auf den letzten Metern nicht faul zu werden und die Ereignisse noch ein bisschen genauer zu erklären und mit Bildern zu untermalen.
Julian aus Girardot kam Ende März zu mir, da sein Rübenacker auch einmal ein paar Tage ohne ihn auskommen konnte und er unbedingt nach Popayán wollte, wo doch „diese berühmten Osterfeiern“ stattfänden. Tatsächlich? Na gut, Cali liegt ja auf dem Weg, dann soll er mal kommen und dann schauen wir uns das mal an. Vorher waren wir noch zwei Tage in San Cipriano - das kennt ja der eine oder andere noch aus früheren Erzählungen - bevor wir uns dann über die Panamericana auf den Weg ins zwei Stunden entfernte, knapp 2000 Meter hoch gelegene Popayán machten.
Auf der Straße hatte es eine Woche zuvor einen bewaffneten Kampf zwischen der Guerilla und dem Militär gegeben, sodass meine Gasteltern ein wenig besorgt waren. Auf der anderen Seite waren sie aber auch ganz froh, Julian und mich aus dem Haus zu haben, und wir kamen auch heil und sicher in Popayán an.


Auf dem Weg sahen wir einen frisch verstorbenen Motorradfahrer, der wahrscheinlich keinen Helm hatte oder diesen zweckentfremdet nutzte.

Julian: „Guck mal, da liegt Gehirn.“
Das mag jetzt vielleicht gefühlskalt erscheinen, aber die Reiz- und Mitleidsschwelle sinkt mit solchen Erfahrungen kontinuierlich ab. Der Straßenverkehr in Kolumbien ist ja an sich schon gefährlich, aber Motorrad zu fahren ist mörderisch – sowohl der Fahrweise der Motorradfahrer als auch den anderen Verkehrsteilnehmern geschuldet. Ich habe einmal eine Statistik in der Zeitung gesehen, dass zwei Prozent aller Motorradfahrer jedes Jahr in Cali einen Unfall haben.
Umso seltsamer mutet es an, dass niemand Schutzkleidung trägt, aber bei 30 Grad und allgemeiner Passion verzichten die Kolumbianer darauf. Somit werden auch Helme nicht oder nur auf den Hinterkopf gesetzt, sodass der Kinnschutz auf der Stirn ist und das Gesicht frei bleibt. Ist ja auch viel zu heiß sonst!


Zurück zum Thema: Hier sind auch die erwähnten Besucher aus ganz Kolumbien zu sehen, und zwar Katja aus Medellín und Lisa aus Bogotá, die hinter dem Schopf von Flo aus Popayán hervorlugt. Im folgenden Bild seht ihr auch noch Julian neben mir und Katja, die gerade irgendwie komisch guckt.


Kurz nach unserer Ankunft wurde uns eröffnet, wir könnten als „pichoñeros“ die im Video genannten „pasos“ tragen. Diese riesigen Statuen aus Massivholz werden zu Ostern abends in den Prozessionen durch die Stadt getragen, und irgendwie müssen sie aus den Kirchen zum Startpunkt der Route kommen. Diese verantwortungsvolle Aufgabe sollte also uns zufallen.


Also besichtigten wir die nächste Kirche und schauten uns schon einmal an, was auf uns zukommen sollte.


Anschließend guckten wir uns das Ganze in klein an, eine Prozession für Kinder.


Das Tragen der „pasos“ ist eine große Ehre, da die Statuen alteingesessenen Familien gehören und die Tradition schon seit mehr als hundert Jahren existiert.


Somit werden auch die Kinder schon mit in diese Tradition eingebunden - natürlich mit „pasos“, die in Größe und Gewicht angepasst sind.


Hoch über der Stadt thront der Gründer Sebastián de Belálcazar, der gleiche wie in Cali. Man hat in Richtung des Pazifiks einen tollen Blick über die Stadt, die tatsächlich sehr weiß wirkt. Später wurde mir dann erzählt, dass tatsächlich viele Häuser vor der Osterwoche immer aufs Neue weiß angemalt werden. Bei Sonnenuntergang war dann unsere große Zeit gekommen.


Wenn man die Wichtigkeit dieses Ereignisses für die Stadt bedenkt, bin ich immer noch erstaunt über das Vertrauen, das uns entgegengebracht wurde, als uns das Tragen der „pasos“ zur Prozession angeboten wurde.
Auf der einen Seite kannte die Familie halt Flo und Olli - ebenfalls mit weltwärts in Popayán, von ihm habe ich leider kein Foto – und auf der anderen Seite ist groß, weiß, blond und deutsch zumindest in Kolumbien nach meinen Erfahrungen so ziemlich das Nonplusultra, wenn man möchte, dass die Leute einem vertrauen.


Anschließend gingen wir noch feiern, doch ich hatte mich bei einem Wolkenbruch in San Cipriano zwei Tage zuvor erkältet und verließ die Feier somit früher, um bei den Gasteltern von Olli zu übernachten, der zu diesem Zeitpunkt noch in der Dominikanischen Republik weilte.
Hier ein großes Lob an die Gasteltern, die mich bei sich aufgenommen haben, ohne dass Olli da war und ohne mich zu kennen. Die Gastfreundschaft in Kolumbien beeindruckt mich immer wieder.


Am nächsten Tag lernten wir die Stadt kennen, besuchten den Hügel von Sebastián de Belálcazar und das anbei liegende Museumsdorf „pueblito patojo“ (frei übersetzt „Popayánerdörfchen“), bevor wir noch einige Märkte mit „artesanía“ (Kunsthandwerk - oder „Indianermock“, um es mit Eric zu sagen) besuchten.


Soll ja auch alles sauber sein! Direkt vor der Prozession, die wir uns am Abend anschauten, wurden noch die Straßen gekehrt.


Auch das Polizeiorchester hatte sich auf die Osterwoche vorbereitet und genoss es, dass endlich mal ein ordentliches Publikum anwesend war. Popayán und Ostern ist so wie Wacken und das Musikfestival oder Bayreuth und die Festspiele - viele Leute für eine Woche, der Rest des Jahres nix los.


Die mehr als ein Dutzend wunderschönen, mit Gold verzierten „pasos“ wurden an uns und am Rest der Menge vorbei getragen.


Wie im Video erwähnt, können sie mehr als eine halbe Tonne wiegen, und so benötigen die Träger natürlich immer wieder Pausen. Besonders beim Wiederanheben sind die Statuen unglaublich schwer und man benötigt eine Menge Kraft und – im wahrsten Sinne des Wortes – Rückgrat, wie ihr im folgenden Video seht.


Viele Leute liefen mit Kerzen mit, sodass auch wir uns dazu entschlossen, am folgenden Abend die tragenden Freunde der beiden „Einheimischen“ Flo und Olli am Straßenrand zu begleiten.


Am nächsten Tag ging es dann jedoch erst einmal mit Ollis Gastfamilie in ein Museum, in dem irgendein glorreicher Eroberer oder Befreier gepriesen wurde, sowie auf einen weiteren „artesanía“-Markt, um uns dort allerlei unnützes Zeug anzuschauen.


Für Deutsche ist dieser Stand wahrscheinlich recht ungewohnt anzusehen, denn es gibt Koka-Produkte aller Art: Bonbons, Tee, Kekse – schmeckt aber alles nur nach Unkraut und ist nicht zu empfehlen. Ganz davon abgesehen ist der Import nach Deutschland eh verboten.
Anschließend fuhren wir nach Coconuco, den heißen Quellen in der Nähe von Popayán. Nach einer einstündigen Anreise, in der das Kühlwasser des Autos überhitzte, erschlug uns erst einmal der unglaubliche Gestank des schwefelhaltigen Wassers. Nach einer Weile gewöhnte man sich jedoch daran und wir genossen das warme Wasser in der Kühle des Abends.


Später gingen wir dann zu einer weiteren Prozession, um, wie bereits erwähnt, aktiv mit Kerzen mitzulaufen. Unglaublich viele Blicke blieben besonders an Julian und mir hängen, da wir nun wirklich nicht kolumbianisch aussehen und somit ständig gefragt wurden, wo wir herkämen und ob es uns gefiele.


Nach vier Tagen und drei Prozessionen war es dann aber auch einmal gut und so machte ich mich am Sonntag auf den Heimweg. Die Osterfeiern in Popayán sind eine tolle Erfahrung, wenn man eh schon einmal da ist. Ganz aus Europa nur dafür anreisen würde ich zwar nicht, aber das muss jeder selber wissen.
Kommentare sind wie immer erwünscht. Das war der letzte Eintrag in diesem Blog, denn ich bin nun schon seit einigen Tagen wieder in Deutschland und das Abenteuer ist vorbei. Ich hoffe, es hat euch gefallen, und vielleicht gibt's ja mal wieder einen Blog, wenn ich wieder für längere Zeit im Ausland bin.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit, euer Lars

1 Kommentar:

  1. Hi Lars,
    nun ist dein Austauschjahr zuende - ob leider oder endlich hast du für dich schon beantwortet.
    Wir sind wirklich froh, dass du heil und gesund wieder in Hamburg angekommen bist. Schade nur, dass es nun aus dem " Westen nichts Neues" mehr gibt.
    Dank deiner Erfahrungen und Erlebnisse haben auch wir schöne, traurige, tolle und ernüchternde Momente und Wochen erlebt. So hast du auch für uns neue Kontakte in Kolumbien geknüpft.
    Dein Blog ist richtig gut gelungen. Vielen Dank für deine Schreib- und Fotografierwut. Sie hat uns über das (doch recht lange) Jahr getragen.
    Alles Gute für dein nächstes Projekt!
    LiCo

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