Montag, 7. September 2009

Imagínate que vos sos profe.

Stell dir vor, du bist Lehrer.

Die Überschrift - für den Großteil meiner Leser wahrscheinlich treffender: die deutsche Unterschrift - zeigt schon, worum es heute gehen soll: meine Arbeit in der Schule als Lehrerassistent.
Für die des Spanisch Mächtigen soll die Überschrift zudem eine kleine Herausforderung in Form des Voseos darstellen, ein in verschiedenen Teilen Lateinamerikas übliches "morphosyntaktisches Merkmal" (laut Wikipedia). Auf gut Deutsch: Statt "tú" (das bedeutet "du") sagt man hier in Cali "vos", und die Verben haben für diese Person andere Formen. Es wäre ja auch zu schön, wenn man hier mit dem Spanisch, das man in der Schule lernt, etwas anfangen könnte. Aber das ist natürlich übertrieben und ironisch - jeder versteht hier "tú" und für Leute, die man nicht so gut kennt, ist es auch die treffende Anrede statt "Usted" (das bedeutet "Sie"), was hier wiederum fast niemand benutzt. Doch ich will ja so gut es geht das örtliche Spanisch sprechen, und da gehören solche Feinheiten eben dazu.


Mit diesem Bus fahre ich immer zum Colegio INEM.

Meine dortige Tätigkeit ordne ich unter dem Begriff "sprachliche und fachliche Schocktherapie" ein. Zackbumm. Zur Begriffsklärung: Unter "fachlicher Schocktherapie" verstehe ich die folgende Aktion. Man stecke den Deutschen einfach in eine Schule, in der die Schüler nur Spanisch sprechen, und wenn die Französischlehrerin nicht da ist, übernimmt der Deutsche die Klasse mal schnell für eine Stunde. Französischunterricht? Problematisch, wenn die Schüler nach mehr als zwei Jahren immer noch nicht in der Sprache sagen können, wie alt sie sind. Hier muss ich jedoch anmerken, dass es bei meinem alten Französischlehrer Herrn Behrens im Rückblick auch nicht immer besser aussah - und es weder jetzt noch damals, weder hier noch dort am Lehrer liegt bzw. lag.
Also kein Französischunterricht. "¿Saben hablar inglés?" ("Könnt ihr denn Englisch?") Hmm, ein oder zwei Schüler ja, der Rest nicht. Daher der Begriff "sprachliche Schocktherapie": Ich MUSS Spanisch sprechen!Und jetzt ganz ehrlich, ohne Ironie: toll!
Wer mich kennt, weiß, dass das genau die Situationen sind, die ich gesucht habe. Mich selbst herausfordern, neue Wege erkunden - und natürlich, man vergesse das Ziel des Programms nicht, Entwicklungshilfe leisten. Diesbezüglich gehen die Meinungen auseinander - leiste ich tatsächlich Entwicklungshilfe, sind also eure Spenden, liebe Spender, und eure Steuern, liebe Steuerzahler, gut angelegt? Oder ist das Ganze, wie die Süddeutsche Zeitung es nennt, ein Egotrip ins Elend?


Um sie geht es: die Schüler am Colegio INEM.

Jan in Paraguay, ein AFS-Kollege, dessen Blog ich euch sehr empfehlen kann, schreibt sehr passend:

"Ich wollte einfach in ein warmes Land und ich wollte Spanisch lernen. Ich will ehrlich sein. Kaum jemand tut all dies nur aus altruistischen Beweggruenden. Dennoch bin ich froh, tatsächlich etwas bewegen zu koennen."

Diese Aussage kann ich so unterschreiben. Doch im Gegensatz zu Jan, der oftmals eine Verschwendung von Steuergeldern anprangert, sehe ich mich hier als gute Investition in die Zukunft kolumbianischer Kinder an. Während professionelle Entwicklungshelfer in vielen Projekten sicherlich weitaus effizienter sind als Jugendliche, die die Welt erkunden wollen, ist in meinem Projekt Vertrauen und Interesse der Schüler in bzw. an mir ein wichtiger Bestandteil, um das Projektziel erreichen zu können, also das Englisch der Schüler zu verbessern.


Meine ersten Lehrversuche sind hier sichtbar.

Bezüglich des Vertrauens gehört es dann zum Beispiel auch dazu, dass ich mit den Schülern letzte Woche Fußball gespielt habe in einer Freistunde, von denen ich übrigens mehr als genug habe, bis im Oktober das neue Schuljahr anfängt. Die Schüler denken jetzt übrigens, ich sei ein Fußballgott - das sind die Deutschen für die Kolumbianer sowieso alle - denn ich habe ein wunderschönes Tor erzielt, und mich kurz darauf mit dem Hinweis "¡Hace tanto calor!" ("Es ist zu heiß!") auf die Auswechselbank unter die schattige Palme zu den Mädchen zurückgezogen. (Es war übrigens bei 30 Grad in der Sonne tatsächlich heiß, wie jeden Tag.)
In der letzten Woche war ich neben der Einzelstunde Französisch immer mit verschiedenen Lehrern im Englischunterricht im Einsatz. Ich habe mich fast immer auf Englisch und Spanisch vorgestellt, da die Fremdsprachenkenntnisse der Schüler hier einfach katastrophal sind! Anschließend haben wir beispielsweise in der sechsten Klasse ein Spiel gespielt, wo ich mich nur auf Englisch vorgestellt habe - wie heiße ich, woher komme ich, wie viele Geschwister habe ich - und die Schüler dann versucht haben, die wichtigen Informationen herauszufiltern. Das ganze ist im folgenden Video sichtbar.



Diese Woche geht es richtig los: so muss ich morgen früh um 7.30 Uhr in der Schule sein und arbeite bis 15.30 Uhr. Am Dienstag arbeite ich dann von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr, am Mittwoch von 13.30 Uhr bis 15.30 Uhr, am Donnerstag von 9.30 Uhr bis 15.30 Uhr - und am Freitag hab ich frei. (Wie beim Sams.) Doch dies ist wie gesagt nur der vorläufige Stundenplan, da hier das Schuljahr gerade zu Ende geht. Ab Oktober wird dann malocht. (Auf kolumbianisch, ergo: gearbeitet. Für die Maloche hat man hier Angestellte. Dazu mehr nächste Woche.)
Ich werde in meiner Ansicht bestätigt, dass ich das Vertrauen der Schüler gewinnen und ihr Interesse am Englisch lernen wecken kann, wenn die Schüler im normalen Unterricht mehr oder weniger machen, was sie wollen, aber mir tatsächlich aufmerksam zuhören und Fragen stellen, nachdem ich mich kurz auf Englisch und einer gleichzeitigen Satz-für-Satz-Übersetzung auf Spanisch vorgestellt habe. Meine Französischklasse, in der wir vorwiegend Spanisch gesprochen haben, war total ruhig, und ich glaube, dies ist der richtige Weg.


Is this the way to Amarillo? (Ist das der Weg nach Amarillo?)


Nein, es ist nur der Weg zur Finca, unserem Hof hoch in der Andenkordillere westlich von Cali, in Richtung Pazifik. Doch da ich ja will, dass ihr immer mal wieder reinschaut, kommt der Bericht über die Finca erst nächstes Mal, wie schon der Bericht über die Angestellten, denn die beiden Themen gehören zusammen.

Euer Lars

5 Kommentare:

  1. Hallo Lars,
    wie ein spannender Fortsetzungsroman.
    UV

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  2. Hey Lars,
    ja, ich bin auch schon gespannt auf die Beschreibung der Finca und natürlich den Bericht über die Angestellten.
    Bislang klingt es aber so, als würden deine Erwartungen vollends erfüllt und hättest eine gute Zeit... hoffe, dass bleibt so!!
    Und wenn man das so liest, und man im Sauerland oder im Ruhrgebiet sitzt, wird einem so richtig bewusst, was die Welt so zu bieten hat :)
    LG Anuscha

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  3. Hey Lars,
    hat Spass gemacht deinen Bericht zu lesen- und in vielem was du geschrieben hast konnte ich mich und meine eigenen Erlebnisse wiederfinden. Es ist schoen wie optimistisch du bist, wo ich beizeiten schon einmal die Hoffnung aufgegeben habe... Aber am neachsten Tag sieht dann ja immer alles anders aus:) Wuerd mich mal interessieren wie du das sonst so machst mit dem unterrichten- da ich hier an meinen Schulen leider Gottes keine begleitende Lehrkraft habe und voellig auf mich allein gestellt bin...
    Wir koennen ja mal telen? Schick mal deine Nummer.
    Bis dahin viel Spass in der Hitze...
    Liebste Gruesse aus dem kalten Ubate von der erkaelteten Lisa.

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  4. lieber lars!

    ein schoenes stueck digitale literatur hast du da erschaffen! bleib deiner regelmaessigkeit treu und denk dran keine maedels unter 13 Jahren zu daten! =D vielen dank auch fuer den verweis auf meinen blog und das zitat!

    lass uns ma wieder skypen,

    fuerte abrazo, Jan

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  5. ¡Hola, Lars :)! Vuelo a España hoy y tengo que hablar mucho español... Por eso, me compadeco de tú (o vos). ¡Mucha suerte!

    Jana

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